Was darf man heute eigentlich noch sagen?
Diskussionen um Rassismus wirken auf viele verunsichernd. Zugleich sind Klischees und Vorurteile weit verbreitet. Es gibt gute Gründe, sich mit Rassismus zu beschäftigen und eigene Sichtweisen zu hinterfragen.
Die Frage „Woher kommst Du?“ kann freundliches Interesse signalisieren. Lautet die Antwort „Wuppertal“, „Cottbus“ oder „Schwaben“, hören viele Menschen wegen ihres Äußeren dann oft die Nachfrage: „Aber woher denn eigentlich?“ Schon bekommt das Gespräch einen anderen Dreh. Dann schwingt die unausgesprochene Botschaft mit: „Du siehst nicht aus wie die Mehrheit hierzulande, bist demzufolge nicht von hier, gehörst nicht zu uns.“
„Es steckt oft keine böse Absicht dahinter, wenn wir jemanden im Gespräch verletzen“, sagt Sören Asmus. „Wenn so etwas passiert, kann ich mich entschuldigen, so wie man es nach versehentlichem Anrempeln tut.“ Der Pfarrer im Duisburger Stadtteil Hochfeld kennt die Perspektive derer, die sich allzu oft rassistisch angesprochen fühlen. Die Mehrheit der Gemeindemitglieder unter 50 hat Migrationshintergrund. Außerdem arbeitet er eng mit Moschee-Gemeinden zusammen. „Schon im Studium habe ich viele Kommilitonen kennengelernt, die aus anderen Ländern kamen“, erzählt Asmus. Heute ist er Referent für interreligiösen und interkultureller Dialog der evangelischen Kirche im Rheinland und hält Vorträge, um Menschen für einen verständnisvolleren Umgang zu sensibilisieren.
Wer ist Rassist?
Ihm ist wichtig, zu unterscheiden: Wer sich ohne Vorsatz rassistisch äußere, sei noch kein Rassist. „Aber man sollte daraus lernen, um es künftig besser zu machen“. Es gehe nicht um politische Positionen oder Diskussionen, sondern darum, im Alltag anständig miteinander umzugehen. Hierfür hat er drei Ratschläge:
- Zuhören: Wer grundsätzlich bereit ist, mehr über die Menschen um sich herum zu erfahren, kann dabei einiges lernen, auch über deren Herkunft und Kultur. Wenn man sich für andere interessiert und auch von sich selbst etwas erzählt, dann steckt man im Gespräch und vermeidet die „Befragung“. Das schafft gegenseitiges Verständnis und Respekt.
- Nachfragen: Wenn Menschen sich nicht gut kennen, erscheint ihr Verhalten manchmal merkwürdig. Wer nach den Gründen fragt, kann das Ungewohnte (zumindest ein Stück weit) einordnen. Stört ein bestimmtes Verhalten, kann man dies auch äußern. Nachdem sich in einem offenen Gespräch die eine Seite geäußert hat, ist es legitim, auch die eigene Position zu erklären.
- Im Hier und Jetzt bleiben: Wenn in den Nachrichten über Terroranschläge oder Clan-Kriminalität berichtet wird, beunruhigt das. Doch mit den Menschen in unserem unmittelbaren Umfeld hat das in der Regel nichts zu tun. Nutzen Sie Gelegenheiten, Menschen persönlich zu begegnen und sie als Individuum kennenzulernen. Andere in Schubladen zu stecken, führt fast immer in die Irre und hilft niemandem weiter.
Respekt vor dem Leben
Wertschätzung für Menschen und für die Natur – das ist es, was die Gründer des Magazins Prinzip Apfelbaum antreibt, die Welt ein Stück besser zu machen.
Kopftuchstreit und Döner essen
Einerseits mögen Kopftuch und Turban einigen Menschen fremd erscheinen. Andererseits wird kaum jemand noch auf Pizza und Döner verzichten wollen. Zunächst Ungewohntes, beschränkt sich oft auf Äußerlichkeiten, gibt Asmus zu bedenken. „Als eine türkischstämmige Familie in eine Reihenhaussiedlung zog, waren viele in der Nachbarschaft besorgt: ‚Was sind das für Leute, sind die gefährlich?‘“ Dann habe sich gezeigt, dass die Neuen genauso ticken, wie die Alteingesessenen: „Die Kinder sollten eine gute Schulbildung bekommen, der Job war wichtig, weil man ja das Haus unterhalten muss und abends möchte man nach der Arbeit seine Ruhe haben.“ Was war also anders? Lediglich die Namen und die Hautfarbe der neuen Nachbarn. „Ein Mensch, dessen Familie seit Generationen in derselben Region lebt wie wir, kann uns fremder sein als ein Mensch, der gerade frisch aus der Ferne zugezogen ist, uns aber persönlich ähnelt“, betont Asmus.
Wenn unterschiedliche Kulturen zusammenkommen, muss das nicht unbedingt Verlust bedeuten, wie der Pfarrer an einem anderen Beispiel erläutert: Eine alte Dame in Duisburg hat ihr Haus, seit Generationen in Familienbesitz, verkauft. Der türkischstämmige Käufer hat das betagte Gebäude saniert und teils wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt, beispielsweise die alten Jugendstil-Fliesen freigelegen lassen. „Die alte Dame war begeistert, dass das Haus nun wieder aussieht, wie in ihrer Kindheit“, berichtet Asmus. „Das zeigt: Traditionen können auch in anderen Händen weitergeführt werden.“
Die Diskussion geht weiter
Manche Auseinandersetzung mag anstrengend sein. Dass sie stattfindet, ist dennoch eine gute Nachricht, wie der Soziologe Aladin El-Mafaalani betont. Dass beispielsweise heute mehr über Diskriminierung diskutiert wird, sei ein Beleg für eine zunehmend bessere Integration: „Menschen, die gut integriert sind und mit am Tisch sitzen, haben den Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe.“ Die offene Gesellschaft ermögliche mehr Chancen, erzeuge aber auch mehr Konflikte. Es sei eine naive Vorstellung, dass Integration und bessere Teilhabe das Ende aller Diskussionen bedeuten würden.
Wer Wert auf einen anständigen Umgang zwischen Menschen legt und sich fragt, was man heutzutage eigentlich noch sagen darf, wird feststellen: Der Umgang miteinander ist an einigen Punkten sensibler geworden, die Grundwerte sind geblieben.
TEXT: Lars Klaaßen
GRAFIK/FOTOS: Roman Samborskyi, Shutterstock, Billion Photos / Shutterstock, Roman Samborskyi, Shutterstock, Jawhar ben Abdallah / Unsplash, Ali Mudassir / Unsplash, Kiepenheuer & Witsch
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Aladin El-Mafaalani: „Wozu Rassismus? Von der Erfindung der Menschenrassen bis zum rassismuskritischen Widerstand“ Wie definiert man Rassismus, wann ist er entstanden? Wann ist eine Handlung oder eine Aussage rassistisch? Was ist der Unterschied zwischen strukturellem und institutionellem Rassismus? Aladin El-Mafaalani fasst den Stand der Diskussion allgemeinverständlich zusammen. Erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, 2021