Respekt! Auch bei schwierigen Themen
Ob Corona-Impfung, AfD wählen oder Klimawandel: Bei manchen Themen scheinen sich unüberwindbare Gräben aufzutun. Andere Meinungen zu respektieren, ist nicht immer einfach. Wie gelingt es dennoch, in der Familie, mit Nachbarn, Kolleginnen und Freunden im Gespräch zu bleiben?
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Abends nach einigen Bieren sagt ein Bekannter, dass er wegen der nach Deutschland flüchtenden Menschen die AfD gewählt habe – es müsse mal jemand „durchgreifen“. Beim kurzen Plausch im Treppenhaus während der Corona-Pandemie wähnt sich die Nachbarin angesichts von Lockdowns und dem Umgang mit Impfgegnern, in einer „Diktatur“ zu leben. Und als das Gespräch beim Mittagessen auf den Klimawandel kommt, schimpft der eine Kollege über die „Öko-Spinner“ und „Klima-Kleber“, während der andere „kein Verständnis mehr“ für jene habe, die noch Fleisch essen, Auto fahren und in den Urlaub fliegen.
Immer wieder ist man in eigentlich harmlosen Gesprächen plötzlich mit Äußerungen konfrontiert, die der eigenen Meinung komplett entgegenstehen. Schnell wird es emotional, manchmal persönlich und im schlimmsten Fall sogar beleidigend. Doch Schweigen ist auf Dauer auch keine Option. Wie reagiert man also am besten?
»Auseinandersetzungen finden nicht allein auf der sachlichen Ebene statt.«
Anerkennung auf verschiedenen Ebenen
„Wenn ich Meinungen Andersdenkender als gleichwertig respektiere, dann steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass meine eigene Meinung von anderen angehört und respektiert wird“, erklärt Daniela Renger. Die Psychologin forscht am Lehrstuhl für Sozialpsychologie und Politische Psychologie der Kieler Universität und der Kieler Forschungsstelle Toleranz.
Auseinandersetzungen zwischen Menschen finden Renger zufolge nicht allein auf der sachlich argumentierenden Ebene statt. In jedem Gespräch schwingt daneben auch mit, ob ich mein Gegenüber …
… als gleichberechtigt auf Augenhöhe betrachte.
… als kompetent und leistungsfähig ansehe.
… und mag.
Es sind drei Formen von Anerkennung, die jede Diskussion in erheblichem Maße prägen. Sie bestimmen sowohl die Vehemenz als auch den Tonfall der Äußerungen. Ist mir jemand unsympathisch oder fühle ich keinerlei Verbundenheit, hilft es, sich dies bewusst zu machen. Diese Art von Toleranz bezeichnet der Psychologe Bernd Simon als „durch Respekt gezähmte Ablehnung“.
Gleichberechtigung, auch wenn es weh tut
Um auch bei schwierigen Themen auf der sachlichen Ebene zu bleiben, muss ich mein Gegenüber als gleichberechtigte Person anerkennen und auf Augenhöhe kommunizieren, selbst wenn mir das, was sie äußert, völlig gegen den Strich geht. Wird mir selbst die Gleichberechtigung verwehrt, weil die andere Seite mich aufgrund meiner Haltung oder gar als Person abwertet, ist ein weiteres Gespräch auf der sachlichen Ebene sinnlos – weil es unter diesen Umständen kein sachliches mehr sein kann. Dann sollte man erstmal darüber sprechen, wie eine gleichberechtigte Diskussion überhaupt möglich ist. Erst wenn auf beiden Seiten genügend Toleranz hergestellt ist, kann es zur Sache gehen.
»Selbstrespekt ist die Grundlage für einen respektvollen Umgang mit anderen.«
Respekt beginnt bei uns selbst
Für keinen Menschen ist es leicht, einer anderen Person auf Augenhöhe zu begegnen, wenn deren Weltbild dem eigenen diametral widerspricht. „Unser Bild von uns selbst ist nämlich in starkem Maße abhängig von Vergleichsprozessen und von den Rückmeldungen, die wir von anderen bekommen“, erläutert Renger. „Diese prägen fundamental, wie wir uns selbst sehen.“ Wer innerlich weniger gefestigt ist, fühlt sich in einer konträren Diskussion schneller persönlich angegriffen und geht in eine Verteidigungshaltung. Statt im Gespräch offen zu bleiben, stellt man sich auf Konfrontation ein.
Respekt vor dem Leben
Wertschätzung für Menschen und für die Natur – das ist es, was die Gründer des Magazins Prinzip Apfelbaum antreibt, die Welt ein Stück besser zu machen.
Deswegen braucht es bei starkem Gegenwind in einer Diskussion einen robusten Selbstrespekt, um sachlich und fair bleiben zu können. Anders gesagt, Selbstrespekt ist die Grundlage für einen respektvollen Umgang mit anderen, wie die Sozialpsychologin Renger betont. Schon in der Bibel heißt es ja: „Liebe Deinen nächsten wie Dich selbst.“ Und dafür muss man eben auch mit sich selbst einigermaßen im Reinen sein. Nur wer sich seines eigenen Werts bewusst ist, ist in der Lage, sich trotz allem in fremde Positionen hineinversetzen, um zumindest die Beweggründe des Gegenübers zu verstehen. Doch wie stärkt man seinen Selbstrespekt?
Gemeinschaft zur inneren Stärkung
Anstatt sich selbst zu optimieren und nach Anerkennung durch andere zu jagen, empfiehlt Renger, Ziele zu verfolgen, die größer sind als das eigene Ego und für die man sich mit anderen zusammentut. „Das Verfolgen gemeinsamer Ziele baut auf Zusammenhalt und Zuneigung. Man bringt seine eigenen Talente ein und zeigt sich gegenseitig Wertschätzung und Respekt“, sagt die Psychologin. „So stärkt man sein Selbstbild quasi nebenbei. Wir sorgen vielleicht am besten für uns selbst, wenn wir über jenes Selbst hinaussehen.“
Doch genau das scheint immer mehr Menschen schwerzufallen. Ein Grund dafür könnte die zunehmende Einsamkeit in unserer Gesellschaft sein. Vor allem während der Corona-Zeit erlebten viele Menschen einen Mangel an sozialem Austausch und emotionaler Nähe. In ihrem gerade erschienenen Buch „Einsamkeit und Ressentiment“ zeigen die Soziologin Claudia Neu, der Soziologe Berthold Vogel und der Jurist Jens Kersten, wie gefährlich das für eine Demokratie sein kann.
»Wer dem anderen mit Offenheit begegnet, wird wahrscheinlich auch von seinem Gegenüber Respekt erfahren.«
Reden hilft
Denn die drei veranschaulichen anhand zahlreicher Studien, dass Menschen, die an Einsamkeit leiden, auch anfälliger für Verschwörungsmythen und autoritäre Einstellungen sind und eher Gewalt akzeptieren. Natürlich ist nicht jeder unter Einsamkeit leidende Mensch von Vorurteilen und Hass erfüllt, umgekehrt sind auch gesellige Charaktere nicht automatisch frei davon. Dennoch stellten die Forschenden einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Ressentiment fest, der „sich desaströs auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die demokratische Ordnung auswirken kann“.
Vor diesem Hintergrund erscheint es umso wichtiger, sich auf Gespräche mit Personen einzulassen, deren Standpunkt man zunächst kaum nachvollziehen kann. Denn erst eine Auseinandersetzung, in der man sich gegenseitig sachlich und emotional ernstnimmt, ermöglicht die Chance, sich gegenseitig zu verstehen. Wer dem anderen mit Offenheit begegnet, wird wahrscheinlich auch von seinem Gegenüber Respekt erfahren. Ob man auf der sachlichen Ebene zusammenkommt, ist dann noch eine ganz andere Frage. Wenn nach einer Diskussion zwei sich einig sind, sich uneinig zu sein, könnten sie trotzdem etwas gewonnen haben.
TEXT: Lars Klaaßen
FOTOS: picture-alliance / dpa | Franz Tschauner Peter, Addictive Stock Creatives /Alamy, Imago / Aflosport, Tamanna Rumee / Unsplash, Vandenhoeck & Ruprecht
Zum Weiterlesen
Sophus Renger, Daniela Renger: Die Suche nach Selbstrespekt. Wie Anerkennung unser Selbstbild formt. Die Psychologen beschreiben, wie sehr unsere Selbstwahrnehmung auf Anerkennung von Anderen angewiesen ist und was das für ein gelingendes Miteinander bedeutet. Erschienen bei Vandenhoeck & Ruprecht, 2022.