Ratgeber

No. 29 - EINSAM Kleine Begegnungen im Alltag steigern das Wohlbefinden.

Erste Schritte aus der Einsamkeit: Schön, Sie kennenzulernen!

Je länger man einsam ist, desto schwerer fällt es, wieder mit anderen in Kontakt zu treten – ein Teufelskreis. Das EASE-Programm des Neurowissenschaftlers John Cacioppo soll helfen, aus der Einsamkeit herauszukommen.

Selbstverwirklichung und beruflicher Erfolg gelten als Garanten für ein glückliches Leben. Gerne wird dabei unterschätzt, wie sehr der Mensch ein soziales Wesen ist. In Gruppen zusammenzuhalten, uns gegenseitig auch emotional zu stützen, hat unserer Spezies das Überleben gesichert. Das prägt uns bis heute, soziale Kontakte sind ​​ein grundlegendes menschliches Bedürfnis geblieben.

Daher ist sich einsam zu fühlen laut dem Psychologen und Neurowissenschaftler John Cacioppo vor allem ein Warnsignal, ähnlich etwa wie das unangenehme Gefühl von Durst. So wie der Durst uns zeigt, dass wir etwas trinken sollten, signalisiert Einsamkeit, dass wir andere Menschen brauchen. Und so wie man verdursten kann, sollte man auch das Gefühl der Einsamkeit ernst nehmen. In seiner Forschung konnte Cacioppo zeigen, dass soziale Isolation nicht nur unser Denken und unsere psychische Gesundheit belastet, sondern auch körperliche Folgen hat. Einsamkeit wirkt sogar ähnlich gesundheitsschädlich wie Bluthochdruck, Bewegungsmangel, Übergewicht oder Rauchen.

Die schlechte Nachricht ist, dass Einsamkeit in unserer Gesellschaft zunimmt. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Man kann etwas dagegen tun. Cacioppo empfiehlt vier Schritte, die sich auch ohne fachliches Wissen im Alltag umsetzen lassen: sein sogenanntes EASE-Programm.

E = Erweitern des Aktionsradius

Wer sich einsam fühlt, zieht sich tendenziell zurück und verfällt in Passivität – was die persönliche Situation verschlechtert. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen. Dafür reichen erste kleine Schritte aus. Hier und da eine freundliche Bemerkung beim Einkaufen im Laden oder beim Warten auf den Bus, aus der sich womöglich ein Gespräch ergibt. Schon ein bisschen Small Talk über das Wetter oder Sport kann guttun.

Wer seinen zwischenmenschlichen Aktionsradius auf diese Weise erweitert, kommt hoffentlich auf den Geschmack und möchte mehr. Menschen, die sich mit anderen Menschen auseinandersetzen, die freundlich und hilfsbereit sind, werden an vielen Orten willkommen geheißen. Hilfreich sind auch soziales Engagement und eine ehrenamtliche Tätigkeit, bei der man automatisch mit anderen in Kontakt kommt.

Übrigens warnt Cacioppo davor, bei ehrenamtlichen Tätigkeiten viel Dank zu erwarten. Ziel ist vielmehr das gute Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein und gebraucht zu werden – und auch Hilfe zu bekommen, wenn man sie selbst einmal braucht.

Zusammenkommen bei ehrenamtlichen Aktivitäten

A = Aktionsplan

Die Zahl der Möglichkeiten ist größer, als man meint. Wer sich umguckt, steht schnell vor der Qual der Wahl. Dann sollte man sich einen Aktionsplan zurechtlegen, um das Beste auszuwählen. Bei der Wahl spielen die eigenen Interessen und Fähigkeiten eine relevante Rolle: Computerkenntnisse etwa lassen sich in einem entsprechenden Kurs für Senioren anwenden. Wer Kinder und Sport mag, kann sich in einem passenden Verein einbringen – und muss nicht unbedingt selbst auf den Platz. Auch die eigene Persönlichkeit spielt eine Rolle: Bin ich zum Beispiel gerne unter vielen Menschen oder habe ich lieber ein wenig Ruhe? Wer sich mit weniger Menschen wohler fühlt, hilft vielleicht gerne in einem Tierheim. Wer Theater mag, aber nicht gerne selbst im Rampenlicht steht, kann einer Laienspielgruppe auch hinter der Bühne nützlich sein.

S = Selektieren

Die Freiheit etwas auszuprobieren, ist fast unbegrenzt. Deshalb ist es wichtig, sich die besten Beziehungen auszusuchen und zu verstärken – also zu selektieren. Denn wer sich einsam fühlt, leidet in der Regel nicht bloß an zu wenigen sozialen Kontakten. Es kommt auch auf die Qualität der Beziehungen an. Sie sollten immer auf Gegenseitigkeit beruhen. Das heißt, dass auf beiden Seiten ein ähnliches Maß an Geben und Nehmen besteht, an Intimität und Intensität.

Gemeinsam statt einsam 

Denn nur in Gemeinschaft lässt sich etwas bewegen! In diesem Sinne sind die Gründer des Magazins Prinzip Apfelbaum Tag für Tag aktiv, um die Welt ein Stück besser zu machen.

Mehr Informationen zur Initiative

E = Erwartung des Besten

Seien Sie optimistisch und erwarten Sie das Beste von anderen Menschen! Soziale Zufriedenheit kann uns helfen, großzügiger und optimistischer zu werden. Umgekehrt gilt aber auch: Menschen, die anderen aufgeschlossen und positiv begegnen, werden auch bei ihrem Gegenüber eher Aufgeschlossenheit und eine positive Haltung auslösen. Wir können nicht kontrollieren, wie andere uns sehen und wie unsere zwischenmenschlichen Beziehungen verlaufen. Aber wir haben mehr Kontrolle über unsere Gedanken und Verhaltensmuster, als die meisten glauben. Durch unsere Einstellung und unser Verhalten können wir erstaunlich viel im Zwischenmenschlichen positiv beeinflussen.

Ein Tipp: das Beste beim anderen erwarten!

Einsam oder allein?

Allein leben, allein sein und die Größe des sozialen Netzwerks sagen nur wenig darüber aus, ob ein Mensch sich einsam fühlt. Beispielsweise fühlen sich Menschen, die verheiratet sind, im Allgemeinen weniger einsam als Menschen, die nicht verheiratet sind. Doch auch in einer Ehe kann man sich verlassen und entfremdet fühlen. Oder das Internet: Soziale Medien haben die Zahl unserer Kontakte deutlich erhöht. Doch schaut man genauer hin, sind all die Posts und Nachrichten oft wenig emotional befriedigend.

Es ist ein Zeichen von Einsamkeit, wenn man sich von den Menschen um sich herum isoliert oder abgelehnt fühlt, oder wenn man mit seinen Beziehungen zu anderen Menschen unzufrieden ist. Das kann ein vorübergehendes Gefühl sein, das durch eine bestimmte Lebenssituation ausgelöst wird. Doch wenn die Einsamkeit länger anhält, sollte man aktiv werden und etwas dagegen tun.

TEXT: Lars Klaaßen
FOTOS: bit.it / Photocase, Ground Picture / Shutterstock, Lomb / Shutterstock, Verlag Springer Spektrum, Jon / Unsplash

Zum Weiterlesen

John T. Cacioppo, William Patrick: „Einsamkeit: Woher sie kommt, was sie bewirkt, wie man ihr entrinnt“ Cacioppo zeigt, welche Funktion Einsamkeitsgefühle haben, wie sie unser Denken und Fühlen vergiften können und wie wir uns von ihnen lösen können. Erschienen im Verlag Springer Spektrum.