Ratgeber

No. 2 – FAMILIE Eigene Wurzeln entdecken: Türkisfarbenen Steinwand, auf der ungeordnet ebenfalls türkisfarbene Stromleitungen verlaufen. Symbolbild für die Ahnenforschung. Wer seine Familiengeschichte kennt, weiß, welche Ideen und Werte er weitergeben möchte. In Prinzip Apfelbaum. Magazin über das, was bleibt.

Eigene Wurzeln entdecken:
Tipps für Ahnenforscher

„Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht“, sagte einmal der frühere Bundespräsident Theodor Heuss. Aus der Familiengeschichte gewinnen wir Erkenntnisse für das eigene Leben und das, was einmal bleiben soll. Eine kleine Anleitung für angehende Ahnenforscher.

Andrea Bentschneider hatte ihre Großmutter nie kennengelernt. Lange vor ihrer Geburt war die bei einem Bombenangriff auf Hamburg ums Leben gekommen. Jahrzehnte später fiel der damals 19-jährigen Enkelin zufällig ein Foto ihrer Oma als junges Mädchen in die Hände. „Ich war vollkommen perplex, weil sie mir so verblüffend ähnlich sah“, erinnert sich Andrea Bentschneider. Das Foto war der Beginn einer Reise in die Vergangenheit, die sie mehr und mehr faszinierte. So sehr, dass die Hotelfachfrau ihren Beruf an den Nagel hängte. Sie wurde Genealogin und gründete die Agentur für Ahnenforschung Beyond History. Seither ist sie Familiengeschichten auf der Spur.

Alte Fotos, aber auch Briefe oder Urkunden, die man in verstaubten Kisten auf dem Dachboden entdeckt, sind oft der erste Anstoß, sich mit der eigenen Familiengeschichte zu beschäftigen. „Bestimmte Filme und Serien können ebenfalls einen Boom auslösen. Nach der Ausstrahlung der TV-Serie ‚Unsere Väter, unsere Mütter‘ haben sich zum Beispiel sehr viele Menschen an die Militärarchive gewandt“, sagt Andrea Bentschneider.

Eigene Wurzeln entdecken: Nahaufnahme eines alten Dias vors Licht gehalten. Zu sehen ist ein Ehepaar auf einer Wiese. Oft stehen alte Fotos am Anfang der Ahnenforschung. Wer seine Familiengeschichte kennt, weiß, welche Ideen und Werte er weitergeben möchte. In Prinzip Apfelbaum. Magazin über das, was bleibt.

Die eigenen Wurzeln versprechen Halt und Orientierung

Die Sehnsucht nach den Ursprüngen erwacht vor allem bei Lebensübergängen. Das liegt nahe. Veränderung bringt schließlich immer auch Ungewissheit. Doch die eigenen Wurzeln versprechen nicht nur Halt und Orientierung, sondern auch etwas, dass über unser eigenes Leben hinausreicht. „Viele Menschen sehnen sich nach einer Verankerung, einer generationenübergreifenden Geschichte, deren Teil sie selbst sein können“, glaubt Peter Teuschel, Psychotherapeut und Facharzt für Psychiatrie. „Es kann eine zutiefst beruhigende oder auch vitalisierende Wirkung auf uns haben, wenn wir wissen, wie unsere Großeltern, Urgroßeltern und deren Eltern hießen, wo sie lebten und was für Berufe sie hatten.“ Der Experte aus München untersuchte in seinem Buch „Der Ahnenfaktor“, wie uns Leben und Erfahrungen unserer Vorfahren prägen. Er ist überzeugt: Je genauer wir unsere Ahnen kennen, desto besser können wir uns mit ihnen identifizieren oder auch, wenn nötig, bewusst von ihnen abgrenzen. Wir können uns also bewusst entscheiden: den Faden unserer Familiengeschichte über Generationen weiterspannen oder ihm einen neue Richtung geben.

Das 1×1 der Ahnenforschung: Fragen und alles aufschreiben

Keine Sorge, der Anfang der Ahnenforschung ist gar nicht schwer! Beginnen Sie einfach in der Familie. Führen Sie Gespräche mit älteren Verwandten. Fragen Sie neugierig und sammeln Sie so weitere Informationen. Wie hieß Tante Emmi wirklich? Ist der Urgroßvater aus Stralsund zugezogen? Stimmt die Geschichte mit der Haushälterin des Großonkels? Wer sind die unbekannten Vorfahren auf den alten Fotos? „Wichtig dabei ist, sich alle Daten wie Geburts-, Sterbe- und Hochzeitsdaten und Anekdoten aufzuschreiben und die Suche zu dokumentieren, um später belegen zu können, woher die Informationen stammen“, rät Genealogin Andrea Bentschneider.

Erste Adressen für Familienforscher: Standesämter und Kirchenarchive

 Mündliche Berichte und private Dokumente reichen irgendwann nicht mehr. Wer tiefer in der Vergangenheit graben will, braucht schriftliche Quellen. Das können Passagierlisten, historische Meldekarten, Heimatchroniken, Ortsfamilienbücher oder Militärunterlagen sein. Vielversprechend sind vor allem Kirchenbücher und standesamtliche Urkunden. Sie enthalten oft auch nähere Angaben zu Personen. Dabei gilt: Für Nachweise aus der jüngeren Vergangenheit sind Standesämter die ersten Adressen. Geburts-, Tauf-, Heirats- und Sterbedaten vor 1874 finden sich ausschließlich in Kirchenbüchern.

Kirchenbücher

Die Suche nach Vorfahren in Originalquellen ist u.a. in Landeskirchenarchiven möglich oder online: Evangelische Kirchenbücher finden Sie auf Archion, katholische Kirchenbücher auf Matricula.

Das Internet als Fundgrube für Familienforscher

Für Ahnenforscher ist das Internet eine wahre Fundgrube. Auf Ahnenforschung spezialisierte Webportale erklären, wie man etwa einen Stammbaum oder eine Ahnentafel erstellt, und lassen in ihren Datenbanken nach Namen, Geburts- und Sterbedaten forschen. Einfache Suchen sind oft kostenlos, bei komplexen Anfragen muss man jedoch zahlen. Aber Achtung! „Für bare Münze sollten Sie die Angaben nicht nehmen. Oft gibt es auf privaten Seiten keine Quellenangaben“, sagt Andrea Bentschneider. Wer sicher sein will, forscht persönlich in Archiven nach den Originaldokumenten.

Familienforschung online

Das Internet ist eine ergiebige Quelle für angehende Ahnenforscher. Die Angebote sind zum Teil kostenpflichtig. Die bekanntesten Portale: Ancrestry, FamilySearch oder MyHeritage.

Wenn es schwierig wird: Ahnenforscher helfen weiter

Eine für manche unerwartete Hürde bei der Reise zu den eigenen Wurzeln: Alte Urkunden sind in Sütterlin- oder Kurrentschrift geschrieben. In Kurse der Volkshochschulen können Hobbyforscher lernen, die Handschriften zu entziffern. Auch regionale Ahnenforschungsvereine helfen vielerorts mit Ratschlägen weiter. Professionelle Ahnenforscher sollte man beauftragen, wenn die Suche weit in die Vergangenheit zurückgeht oder sich über Deutschland hinaus erstreckt. Aufgepasst! Die Auftraggeber zahlen für die Forschungsarbeit, nicht für das Ergebnis. Das heißt: Ein Auftrag kann je nach Aufwand 50 Euro oder aber auch mehrere Tausend Euro kosten.

Vereine und Profis

Zahlreiche Adressen zu regionalen Vereinen bietet die Deutsche Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände e.V. auf ihrer Website. Professionelle Ahnenforscher sind zum Beispiel im Verband der Berufsgenealogen zu finden.

Sich selbst begegnen

Nicht nur Namen und Geschichten werden von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Auch bestimmte Erfahrungen, Geheimnisse, unbewusste Überzeugungen, Regeln, Scham- und Schuldgefühle. Psychotherapeut Peter Teuchel meint deshalb, wer sich mit seinen Ahnen auseinandersetzt, wird sich auch solchen Fragen stellen: Wer bin ich? Woher komme ich? Warum bin ich so? Und: Wohin möchte ich gehen?

Zum Weiterlesen

Peter Teuschel: Der Ahnen-Faktor. Das emotionale Familienerbe als Auftrag und Chance. Erfahrungen, Einstellungen und Emotionen werden in einer Familie oft über Generationen hinweg weitergegeben. Psychiater und Psychotherapeut Peter Teuschel beleuchtet die belastende Komponente dieses emotionalen Erbes und öffnet zugleich den Blick auf die Chancen. Erschienen bei Schattauer, Stuttgart.

TEXT: Angelika S. Friedl
FOTOS: Khara Woods, Gemma Evans / Unsplash