Einsamkeit: Es gibt viele Gründe
Einsamkeit ist als gesellschaftliches Problem erkannt und wird immer besser erforscht: etwa die Frage, warum Menschen sich einsam fühlen und welche gesundheitlichen Folgen das hat. Klar ist, dass man einiges gegen Einsamkeit tun kann.
Lesedauer ca. 4 Minuten
Einsamkeit gehört nicht zu den Themen, über die wir gerne sprechen, lieber verdrängen wir sie. Wer einsam ist, sucht häufig die Schuld bei sich selbst, mit Sätzen wie: „Ich war schon immer ein Außenseiter“ oder „Mit mir unterhalten sich die Leute halt nicht gerne“. Aber Einsamkeit ist nicht nur ein individuelles, es ist auch ein gesellschaftliches Problem, das immer mehr Menschen betrifft.
Ein weltweiter Trend
Mittlerweile beschäftigen sich sogar Regierungen damit. In Großbritannien gibt es bereits seit sechs Jahren ein Einsamkeitsministerium. In Deutschland stellte vor einigen Monaten Bundesfamilienministerin Paus das Einsamkeitsbarometer vor. Es basiert auf den Daten des Sozio-ökonomischen Panels, das zwischen 1992 und 2021 erhoben wurde. „Die Ergebnisse haben mich nicht überrascht“, sagt Sonia Lippke, die an der Constructor University in Bremen Verhaltensmedizin und Gesundheitspsychologie lehrt.
»Während der Corona-Pandemie stieg das Einsamkeitsempfinden vor allem bei jüngeren Menschen deutlich an.«
Während der Corona-Pandemie stieg demnach das Einsamkeitsempfinden deutlich an, und zwar vor allem bei jüngeren Menschen. So zeigte 2020 die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen mit 31,8 Prozent die höchste Einsamkeitsrate. „Da spielten auch fehlende soziale Kompetenzen eine Rolle – im Unterschied zu älteren Menschen, die diese über ihr ganzes Leben hin aufgebaut haben“, erklärt Sonia Lippke. Danach fielen die Zahlen zwar wieder: bei den Älteren ungefähr auf das Vor-Corona-Niveau. Bei den Jüngeren aber blieb der Anteil der Betroffenen höher als vor der Pandemie.
Früher galt Altwerden als Risikofaktor. Das stimmt heutzutage nur noch bedingt. Viele ältere Menschen sind gesellschaftlich engagiert und haben gute soziale Kontakte. Erst wenn Menschen sehr alt werden, steigt das Risiko zu vereinsamen. Das trifft besonders auf hochaltrige Männer zu, die ihre Ehefrau verloren haben und nicht gewöhnt sind, selber soziale Kontakte zu schließen. Frauen sind dagegen eher in der Lage, ihre Netzwerke zu reaktivieren bzw. neue aufbauen.
Einsamkeit ist nicht zwangsläufig mit sozialer Isolation verbunden: Man kann auch in einer Gruppe mit anderen Menschen sein und sich einsam fühlen. Doch für introvertierte Menschen, die öfter alleine sind, besteht eine größere Wahrscheinlichkeit sich einsam zu fühlen. Das Einsamkeitsbarometer zeigt auch, dass es bestimmte Lebenssituationen gibt, in denen sich das Risiko, einsam zu werden, erhöht. Gefährdet sind zum Beispiel Langzeitarbeitslose, die finanzielle Schwierigkeiten haben und sich zurückziehen. Auch Alleinerziehende und Menschen, die jahrelang Angehörige pflegen und wenig Kraft und Zeit für soziale Kontakte haben, sind stärker von Einsamkeit betroffen.
Nichts verpassen!
Mit unserem Newsletter „Prinzip Apfelbaum“ verpassen Sie keine Ausgabe. Wir senden Ihnen regelmäßig Anregungen, Rat und Service – kostenlos per E-Mail in Ihr Postfach.
Allein sein ≠ einsam sein
Doch allein zu sein bedeutet nicht gleich einsam zu sein. Die englische Sprache unterscheidet im Gegensatz zum Deutschen sehr deutlich zwischen solitude und loneliness. Einsamkeit ist das schmerzhafte Gefühl, von anderen abgetrennt zu sein. Für die einen ist schon ein Abend allein in der Wohnung kaum zu ertragen. Andere können tagelang in einer Hütte im Wald sein. Sie verbringen gerne ihre Zeit alleine und fühlen sich dabei wohl. Für die Philosophin Hannah Arendt beispielsweise war Einsamkeit nicht per se etwas Negatives. Es sei die Voraussetzung für Denken und um ein „Jemand“ zu werden. Denken ist ein Zwiegespräch mit sich selbst und das gelingt nur, wenn man nicht gleichzeitig mit anderen oder anderem befasst ist. In Ihrem Buch Vita activa schreibt Arendt: „Einsam sein heißt mit sich selbst zusammen sein.“
»Einsam sein heißt mit sich selbst zusammen sein.«
Allerdings ist der Mensch ein Gemeinschaftswesen, wir brauchen den Austausch mit anderen. Der Zusammenhalt sicherte unserer Spezies das Überleben. Deswegen sieht der US-Sozialpsychologe und Neurowissenschaftler John T. Cacciopo in der Einsamkeit eine Warnfunktion – dass etwas im Argen liegt und wir uns mehr anderen Menschen zuwenden sollten. „Das ist eine positive Sichtweise, die mir sehr wichtig ist. Wir sind nämlich in der Lage, aus diesem Zustand wieder herauszukommen. Einsamkeit gehört genau wie Hunger und Durst zum Leben dazu“, betont die Bremer Gesundheitsforscherin Lippke. Einsame Zeiten seien schließlich auch eine Möglichkeit, neue Fähigkeiten und Ressourcen in sich zu entdecken und sich selbst besser kennenzulernen.
Wer sich zurückzieht, verliert langsam seine sozialen Kontakte.
Macht Einsamkeit krank?
Gut erforscht ist mittlerweile, dass Körper und Seele unter Einsamkeit leiden und soziale Isolation langfristig die Gesundheit beeinträchtigt. Laut einer amerikanischen Studie von 2007 besteht ein erhöhtes Risiko, an einer Altersdemenz zu erkranken. Einsame Menschen schlafen wahrscheinlich schlechter. Auch das Risiko für Herzinfarkte und Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt, wie eine große Metastudie nachweisen konnte. Eine Forschungsgruppe an der Universität Münster wertete die Daten von mehreren Hunderttausend Teilnehmenden aus der ganzen Welt aus. Dabei zeigte sich ein enger Zusammenhang von Einsamkeit mit körperlichen und psychischen Beschwerden, Gebrechlichkeit, Herzerkrankungen, Schlaganfällen und sogar der Gefahr, früher zu versterben.
Allerdings sind diese Folgen nicht sicher bewiesen. „Viele Ergebnisse sind rein korrelativ zu verstehen“, sagt Sonia Lippke. Das heißt, die Merkmale treten auffallend häufig zusammen auf. Es lässt sich aber nicht nachweisen, ob das eine wirklich das andere verursacht. „Wir wissen nicht, was ist die Henne und was ist das Ei? Was wir aber wissen, ist, dass einsame Menschen einen erhöhten Anteil von Stresshormonen aufweisen, was im Endeffekt mit allen möglichen Erkrankungen zusammenhängen kann.“
Gemeinsam statt einsam
Denn nur in Gemeinschaft lässt sich etwas bewegen! In diesem Sinne sind die Gründer des Magazins Prinzip Apfelbaum Tag für Tag aktiv, um die Welt ein Stück besser zu machen.
Raus aus der Einsamkeit
Wer sich zurückzieht, verliert langsam seine sozialen Kontakte. Ein Teufelskreis, der so früh wie möglich durchbrochen werden sollte. Hier können Freunde und Familienmitglieder, aber auch Pflegekräfte, Hausärztinnen und Nachbarn unterstützen und den Einsamen ansprechen. Man sollte nicht direkt fragen: „Fühlst du dich einsam?“, sondern das Gespräch mit sensibleren Fragen beginnen wie zum Beispiel: „Was hast du in der letzten Woche getan?“ oder „Mit wem hast du dich getroffen?“. Ein solches Gespräch kann der erste Anstoß sein, etwas verändern zu wollen. Viele Menschen müssen zunächst erkennen, dass sie einsam sind, um aktiv etwas dagegen zu unternehmen.
»Man muss zunächst erkennen, dass man einsam ist, um aktiv etwas dagegen zu unternehmen.«
Eine gute Möglichkeit ist auch ein Anruf bei der Telefonseelsorge. Man kann den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von seiner Situation erzählen und erhält Anregungen und Tipps, um der Einsamkeit zu entkommen. Studien haben gezeigt, dass schon kurze Gespräche mit der Nachbarin im Treppenhaus oder dem Verkäufer am Marktstand ein Gefühl von Gemeinsamkeit schenken können. Hilfreich ist es, sich vielleicht ein Haustier anzuschaffen, mit anderen zu walken, ein Hobby mit Gleichgesinnten auszuüben oder sich ein Ehrenamt zu suchen. Es gibt viele Wege aus der Einsamkeit. Man muss nur den richtigen für sich finden.
TEXT: Angelika Friedl
FOTOS: Alan Shapiro / Stocksy, Dimitrije Tanaskovic / Stocksy, Melanie Kintz / Stocksy, Jungfermann Verlag, Unsplash / Averie Woodward
Zum Weiterlesen
Sonia Lippke, Christiane Smidt: „Verbunden statt einsam, Wege zu mehr Resonanz mit sich und anderen“ Die beiden Expertinnen aus Forschung und Praxis beschreiben die verschiedenen Gründe und Erscheinungsformen von Einsamenkeit. Sie zeigen auch, wie man sich aus der Isolation lösen kann. Erschienen bei Junfermann.