No. 31 – ALTER

Wissenswertes

Kopfsache: Wie altert das Gehirn?

Unser Gehirn kann schneller altern als unser restlicher Körper oder auch langsamer. Gene und Krankheiten spielen dabei eine Rolle, aber auch unsere Lebensweise. Was dabei wohl weniger wichtig ist, als gedacht: Bildung.

Lesezeit: ca. 5 MInuten

Wie lässt sich der Alterungsprozess des Gehirn aufhalten?

Lange glaubte man, dass unser Gehirn bereits ab dem 30. Lebensjahr an Leistungsfähigkeit verliert. Ein beunruhigender Gedanke, der aber inzwischen widerlegt werden konnte. Wissenschaftler am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg kommen in einer Studie zu dem Ergebnis, dass die geistige Geschwindigkeit ungefähr bis zum 60. Lebensjahr gleich bleibt. Lediglich die Reaktionszeit fängt bereits mit 20 Jahren an abzunehmen. Für die Studie werteten die Forscher die Daten einer großangelegten US-amerikanischen Studie aus, bei der die 1,2 Millionen Probanden möglichst schnell Bilder und Begriffe bestimmten Kategorien zuordnen sollten. Es zeigte sich, dass die älteren unter ihnen ihre Entscheidungen vorsichtiger trafen, mehr abwägten und sich deshalb mehr Zeit dafür nahmen. Mit der geistigen Geschwindigkeit und den kognitiven Fähigkeiten habe das nichts zu tun, so die Forscher.

»Die Neuronen, mit denen wir geboren werden, bleiben unser ganzes Leben erhalten.«

Zusammenspiel von Neuronen und Gliazellen

Unser Körper altert anders als unser Gehirn. Während die Haare irgendwann grau und dünner, die Haut faltiger und die Bewegungen langsamer werden, sieht man dem Hirn erst mal nicht an, wie alt es ist. Zumindest dann nicht, wenn es sich nicht durch neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer verändert hat. „Wenn wir uns ein gesundes Gehirn von innen angucken würden, würden wir keine großartigen Veränderungen feststellen“, sagt Anne Schäfer, Professorin und Direktorin am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns. „Die Neuronen, also die Nervenzellen, mit denen wir geboren werden, bleiben uns unser ganzes Leben lang erhalten. Nur wenn man wirklich in sie hineinguckt, erkennt man, dass sie vielleicht schon ein bisschen älter sind.“

Ein gesundes Gehirn zerfalle nicht. „Im Alterungsprozess kann sich jedoch die Geschwindigkeit ändern, in der die Neuronen miteinander kommunizieren, und auch die Präzision, mit der ein bestimmtes Neuron wann wie aktiviert wird.“ Eine wichtige Rolle spielen hier die sogenannten Gliazellen. Sie unterstützen die Neuronen dabei, Signale weiterzugeben, und regulieren ihre Aktivität. „Wenn wir jung sind, arbeiten Neuronen und Gliazellen in der Regel einwandfrei miteinander und wir sind geistig fit. Das kann sich im älteren Gehirn verändern und dann zu leichten Störungen führen“, so Schäfer.

Wie schützen wir unser Gehirn vor der Alterung?

Der Alterungsprozess des Gehirns wird durch Gene und Krankheiten beeinflusst, aber auch durch unsere Lebensweise. Rauchen, Alkohol, eine schlechte Ernährung und zu wenig Bewegung – all das lässt nicht nur unseren Körper schneller altern. „Alle ungesunden Lebensarten wirken sich gleichzeitig auch auf das Gehirn aus“, sagt Anne Schäfer. „Es ist sehr abhängig von einer funktionierenden Durchblutung. Wenn die Arterien verkalken, zum Beispiel aufgrund von zu fettigem Essen oder zu wenig Bewegung, kann das dazu führen, dass das Gehirn nicht ausreichend durchblutet ist. Das ist meist der erste Schritt hin zu den Störungen im Zusammenspiel von Neuronen und Gliazellen.“

»Wir können unser Gehirn fit halten, indem wir seine Durchblutung fördern.«

Das heißt aber auch, dass wir unser Gehirn fit halten können, indem wir seine Durchblutung fördern. „Denksportaufgaben, Neues lernen, beispielsweise eine Sprache oder Schachspielen, das Gehirn fordern, sich bewegen und sich gesund und ausgewogen ernähren – all das regt die Hirndurchblutung an und trainiert unsere neuronalen Stammzellen“, betont Schäfer.

Schützender Input für Körper und Geist

Rudolph Tanzi, Neurologe an der Harvard Universität, hat dafür als Gedankenstütze das Akronym SHIELD entwickelt. Es bezeichnet sechs Faktoren, die uns vor kognitivem Verfall schützen können:

  1. mindestens sieben Stunden schlafen (Sleep)
  2. Stress reduzieren, beispielsweise durch Meditieren oder Spaziergänge in der Natur (Handle stress)
  3. sozial aktiv bleiben und Einsamkeit vermeiden (Interact with friends)
  4. täglich Sport treiben (mindestens 150 Minuten pro Woche), dazu gehört auch zügiges Gehen (Exercise daily)
  5. neue Dinge lernen (Learn new things)
  6. sich gesund ernähren, also zuckerhaltige, salzige und verarbeitete Lebensmittel meiden und sich stattdessen pflanzlich und mit viel Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen ernähren (Eat a healthy Diet)
Gut fürs Gehirn: mediterrane Ernährung

Neurowissenschaftler der University of Nebraska Lincoln haben jüngst in einer Studie gezeigt, dass sich Omega-3-Fettsäuren, Antioxidantien und Vitamine, wie sie beispielsweise in der mediterranen Ernährung verbreitet sind, günstig auf die Gehirnfunktionen auswirken können. Der positive Effekt zeigte sich auch dann, wenn andere Faktoren wie Bildung, Einkommen, Geschlecht und Übergewicht ausgeschlossen wurden.

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Bereits 2021 stellte das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen fest, dass Mittelmeerkost – also viel Fisch, Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst und einfach ungesättigte Fettsäuren wie Olivenöl – das Gehirn vor Gedächtnisverlust und Demenz schützen kann. Unter den insgesamt 512 Probandinnen und Probanden im Alter von durchschnittlich 70 Jahren schnitten diejenigen, bei denen regelmäßig Fisch und Gemüse auf dem Teller lagen, besser ab: sowohl in Bezug auf alzheimertypische Biomarker als auch bei Gedächtnistests. Außerdem war bei ihnen das Volumen des Hippocampus signifikant größer. Dieses Hirnareal gilt als Schaltzentrale des Gedächtnisses und schrumpf bei Alzheimer frühzeitig und stark.

»Großhirnrinde und Hippocampus schrumpfen bei Menschen mit höherer Bildung im Alter genauso stark wie bei anderen.«

Dagegen scheint Bildung – entgegen früheren Studien – keinen wesentlichen Einfluss auf die Gehirnalterung zu haben. Zumindest legt das eine Studie des EU-Konsortiums „Lifebrain“ nahe, an dem auch das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung beteiligt ist. Für die Studie wurde mithilfe struktureller Magnetresonanztomographie das Volumen von Großhirnrinde und Hippocampus bei über 2.000 Studienteilnehmenden zwischen 29 und 91 Jahren über einen Zeitraum von bis zu elf Jahren gemessen. Es zeigte sich, dass die beiden Areale bei Menschen mit höherer Bildung im Alter genauso stark schrumpfen wie bei Personen mit niedrigerem Bildungsstand.

Woran erkennt man Demenz?

Nur vergesslich oder schon dement?

Es ist also völlig normal, im Alter vergesslicher zu werden oder Dinge zu verlegen. Doch woran erkennt man, was noch eine typische Alterserscheinung und was schon eine beginnende Demenz ist? Die Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg nennt einige Merkmale, anhand derer sich beides gut unterscheiden lässt. So vergessen Menschen mit einer Demenz nicht nur ab und zu, sondern häufig Dinge, erinnern sich nicht mehr und stellen immer wieder die gleichen Fragen, obwohl sie schon mehrfach beantwortet wurden. Sie verlegen Dinge und können nicht mehr rekonstruieren, wann sie sie das letzte Mal gesehen haben. Oder sie räumen Gegenstände an dafür ungeeignete Stellen, etwa die Geldbörse ins Gemüsefach.

Menschen mit Demenz haben zudem Probleme, Situationen richtig einzuschätzen. So kann es passieren, dass sie komplett vergessen, dass sie gerade auf das Enkelkind aufpassen, und das Haus verlassen. Oder sie kleiden sich dem Wetter unangemessen. Auch das abstrakte Denken macht bei Demenz zunehmend Probleme und Betroffene können immer schlechter Lösungsstrategien entwickeln. Während Menschen mit Demenz sich an lange zurückliegende Ereignisse oft besser erinnern als Gesunde, ist ihnen das, was erst vor wenigen Augenblicken war, oft komplett entfallen. Die räumliche und die zeitliche Orientierung gehen bei Demenz ebenfalls verloren. Viele an Demenz Erkrankte werden darüber hinaus antriebslos und nehmen nicht mehr gerne an gesellschaftlichen Aktivitäten teil. Im weiteren Verlauf können auch Sprachstörungen folgen.

»Ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Vergessen und Erinnern ist wichtig für unsere kognitiven Fähigkeiten.«

Hilfreiches Vergessen

In gewissem Maße ist Vergessen übrigens gut, wie der Neurologe Scott Small betont. Small ist Direktor des Alzheimer’s Disease Research Center an der Columbia University in New York und hat das Buch „Vergessen – macht Platz für Wichtiges“ geschrieben. Ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Vergessen und Erinnern sei wichtig für unsere kognitiven Fähigkeiten, so Small. „Es gewährt uns die Flexibilität, uns an eine sich ständig wandelnde Umgebung anzupassen, aus unzusammenhängenden gespeicherten Informationen zu abstrahieren und den Wald zu sehen, ohne die Bäume wahrzunehmen.“

Vergessen sei unabdingbar für das emotionale Wohlbefinden, damit wir Ressentiments, neurotische Ängste und schmerzliche Erfahrungen, die uns belasten, loslassen können. Und nicht zuletzt wird das Gehirn durch Vergessen frei für unerwartete Assoziationen, betont Scott. „Ohne Vergessen würden kreative Ideen jedweder Art vom Gedächtnis blockiert.“

TEXT: Kristina Simons
FOTOS: Ihsan Yildizli / iStock, 2x Alfred Anwander / MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften, Warchi / iStock, Diya Pokharel / Unsplash