Umgang mit Demenz: Der Kern des Menschen bleibt
Demenz stellt unser Bild vom selbstbestimmten, vernunftbegabten Menschen in Frage. Doch die Würde eines Menschen ist nicht von der Fähigkeit zur Vernunft abhängig. Wer hilfsbedürftig wird, verliert nicht seine Eigenständigkeit. Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit und eine Kommunikation auf Augenhöhe.
Als sein Vater dement wurde, habe er gerne mit ihm zusammen Musik gehört, Bach und Schubert. Etwas, das sie vorher nie getan hätten. Die Krankheit habe eine andere Innigkeit in das Vater-Sohn-Verhältnis gebracht, erzählt der Rechtswissenschaftler Thomas Klie in einem Interview mit dem Spiegel. Klie ist überzeugt, dass ein gutes Leben auch mit Demenz möglich ist. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen.
In seinem Buch „Recht auf Demenz“ fordert Klie deshalb einen anderen Umgang mit den Betroffenen. „Würde ist nicht an Leistungsfähigkeit gebunden“ heißt es in Artikel 1 des Grundgesetzes. Jeder habe Anspruch darauf, als Teil der Gesellschaft gut versorgt zu sein. Für alle, die mit Demenzerkrankten zu tun haben, bleibt der Umgang aber eine große Herausforderung. Denn wie rede ich mit jemandem, den rationale Argumente nicht mehr erreichen? Der verwirrt ist und vielleicht schnell wütend wird?
Den Menschen in ihrer Welt begegnen
„Wir müssen Menschen mit Demenz ernst nehmen und uns an ihr Tempo anpassen“, erklärt Laura Mey von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Kurze Sätze und eine langsame Sprache erleichtern die Kommunikation. Ein Tipp, der sofort einleuchtet. Was aber bedeutet ernstnehmen? Vor allem geht es darum, sich auf die Perspektive der Menschen einzulassen. Denn sie nehmen die Welt manchmal anders wahr. So fällt es Menschen mit Demenz zum Beispiel schwer, sich neue Informationen zu merken. Oder sie kommen mit den Erinnerungen durcheinander.
Ein Klassiker ist, dass Menschen mit Demenz nach verstorbenen Angehörigen fragen. „Mutter wollte doch zum Kaffeetrinken vorbeikommen“. Aber die Mutter ist schon zwanzig Jahre tot. Es nützt nichts, darauf zu verweisen, dass die Mutter nicht kommen wird. „Es ist dann gut, über die Mutter ins Gespräch zu kommen und Positives aufleben zu lassen. Zum Beispiel: ‚Deine Mutter ist dir sehr wichtig. Nichts geht über ein gemeinsames Kaffeetrinken in der Familie! Du hast dich immer gut um alle in der Familie gekümmert’“, empfiehlt Mey, die am Alzheimer-Telefon auch Angehörige und Betroffene berät.
Die Sprache des Körpers
Genauso wenig sollte man zu streiten anfangen, wenn einen der erkrankte Vater beschuldigt, die Geldbörse gestohlen zu haben. Auch Appelle an die Logik – „warum sollte ich dir etwas wegnehmen“ – helfen hier nicht weiter. „Besser ist es, Sie bringen Verständnis auf, in dem Sie bestätigen: ‚Ohne Geld ist man natürlich ganz schön aufgeschmissen. Es gibt wahrscheinlich niemanden, der nicht aufgeregt wäre, wenn sein Geld weg ist’“. Ernst genommen zu werden, helfe dem Vater, sich nicht noch mehr aufregen zu müssen, sagt Mey. Dann kann man Hilfe anbieten und gemeinsam auf die Suche nach der Geldbörse gehen.
Generell hilft es, Blickkontakt zu halten und auf Gesichtsausdruck und Körperspannung zu achten. So kann man feststellen, welche Gefühle die erkrankte Person gerade hat. Das Lesen der Körpersprache wird vor allem im späteren Krankheitsstadium wichtig, wenn die sprachliche Kommunikation schon eingeschränkt ist.
Gefühle bleiben sehr lange erhalten und ein emotionaler Zugang ist noch lange möglich. „Mama, du wirkst so traurig. Jetzt nehmen wir uns mal in den Arm“. Auch der Sinn für Humor bleibt Menschen mit Demenz oft noch lange erhalten. Laura Mey weiß aus Erfahrung: „Nicht selten lassen sich schwierige Situationen mit Humor auflösen. Lachen hilft und kann entspannen“.
Tipps für die Verständigung
- Gespräch auf Augenhöhe führen (Blickkontakt halten).
- Langsam und deutlich sprechen. Einfache Sätze verwenden.
- Nur eine Sache sagen oder fragen. Keine Wann-, Warum-, Weshalb- oder Wo-Fragen stellen.
- Freundlich und zugewandt sein, auf die Körpersprache achten.
- Bestätigung geben, wenn etwas gelingt.
Zwischen Fürsorge und Selbstbestimmung
Viele Menschen mit Demenz fühlen sich wohler, wenn sie ein Stück Selbstwirksamkeit erleben können. Das heißt zum Beispiel, sich die Bluse selbst zuzuknöpfen, auch wenn die Knöpfe dann vielleicht in falscher Reihenfolge liegen. „Einfach machen lassen und nur die Hilfestellung geben, die es braucht“, sagt Mey. Manchmal hilft ein Impuls, eine Erinnerung an frühere Zeiten, damit eine Aufgabe selbständig ausgeführt werden kann. Also zum Beispiel mit dem Wäschekorb zum Wäscheständer gehen und die Person bitten, die Wäsche aufzuhängen.
Mit schwierigen Verhaltensweisen umgehen
An ihre Grenzen können Pflegende geraten, wenn Menschen sehr unruhig oder ängstlich werden. Wenn sie sich überfordert fühlen, wehren Menschen mit Demenz meist ab. „Daher ist es so wichtig, sie nicht zu überfordern und darauf zu achten, dass sie ihr Selbstwertgefühl wahren können. In manchen Situationen kann es helfen, mit etwas abzulenken, das der Person mit Demenz vertraut ist und das ihr Sicherheit gibt. Wenn eine Situation zu eskalieren droht, kann es richtig sein, aus der Situation herauszugehen und die Wohnung oder das Zimmer für kurze Zeit zu verlassen“, empfiehlt Mey.
Oft wird der Umgang mit demenzkranken Menschen dramatisiert, meint Thomas Klie. Oder Angehörige sehen nur die Schutzbedürftigkeit der Erkrankten. Umso wichtiger sind Informationen. Je mehr man über Demenzerkrankungen weiß, desto besser gelingt auch der Umgang mit Erkrankten. Klie plädiert dafür, Demenz als eine Art Lebensform zu begreifen, die viel lebensbejahende Zuwendung braucht. Denn der Kern eines Menschen bleibt. Zweifellos eine Einstellung, die bei einem würdevollen Umgang helfen kann.
Weitere Informationen
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft unterstützt und berät Menschen mit Demenz und ihre Familien. Die Webseite bietet viele Tipps, Informationen und Adressen von Unterstützungsangeboten bundesweit. Am Alzheimer-Telefon helfen geschulte Beraterinnen und Berater weiter.
TEXT: Angelika Friedl
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