Ratgeber

No. 18 – ERFÜLLUNG Eine ältere Frau lächelt zufrieden.

Glückskurve: Ab 60 geht's bergauf

Ein zuverlässiger Faktor für Zufriedenheit ist das Alter. Die U-Kurve des Glücks erreicht in der Lebensmitte ihren Tiefpunkt. Aber spätestens ab dem 60. Lebensjahr geht es wieder aufwärts. Gute Voraussetzungen für eine erfüllende Lebensphase.

Das Alter hat keinen guten Ruf: Alle wollen alt werden, aber kaum einer will alt sein. Dabei stehen die Chancen für Glück und Erfüllung im letzten Lebensdrittel gut. Tatsächlich werden wir mit zunehmendem Alter immer zufriedener. Psychologen sprechen von der „U-Kurve des Glücks“. Sie beginnt in jungen Jahren recht weit oben, geprägt von Optimismus und Selbstüberschätzung. Ab einem Alter von 30 Jahren fällt sie dann stetig ab. Doch paradoxerweise geht es spätestens ab dem 60. Lebensjahr wieder aufwärts. Wie kann das sein?

Mit Blick auf die drei biografischen Phasen des Menschen unterscheidet Tobias Esch, Professor für Gesundheitsversorgung und -förderung an der Universität Witten/Herdecke drei Arten des Glücks: „Die jüngeren Jahre sind geprägt vom Glück des Wollens“, so Esch. „Die Jungen sind risikobereit und begeisterungsfähig, aber auch kreativ – und manchmal vorlaut.“

Irgendwann ankommen

Anschließend stehe die mittlere Lebensphase eher für das Verteidigen des bis dahin Erreichten. „Wir haben bis dahin eine Menge Zeit und Mühe in verschiedenes investiert und deshalb nun etwas zu verlieren“, so Esch. „In unserem Belohnungssystem schalten wir vermehrt in den Alarm-, Flucht- und Absicherungsmodus und sind erleichtert, wenn Gefahr und Stress eine Pause einlegen.“ Darauf folge in den späteren Lebensjahren der innere Friede des Ankommens: „eine Art inneres Lächeln oder auch tiefe Verbundenheit, generell ein Zur-Ruhe-Kommen.“Gemeint ist das Glück der Erfüllung: Wenn wir Herausforderungen und widrige Umstände gemeistert haben, wenn eine Liebesbeziehung auch nach Krisen noch Bestand hat. Reifere Menschen haben gelernt, mit ihren Gefühlen umzugehen, werden milder und gelassener.

Ältere Menschen reichen sich die Hand zum Tanz.

Für die emotionale Kurve in Laufe eines Lebens gibt es ganz handfeste Gründe, meint Hilke Brockmann, Professorin für Soziologie an der Jacobs Universität Bremen. In mittleren Lebensjahre erleben wir zahlreiche äußere Belastungen: Die anfangs vielleicht zügig aufwärtsstrebende Karriere flacht irgendwann ab, der Job frisst dennoch viel Zeit und Energie. Wer Kinder großzieht, gerät während derer Teenager-Jahre an seine Grenzen. Andererseits müssen vielleicht die eigenen Eltern betreut werden. Mit anderen Worten: Man verliert das eigene Leben aus der Hand. All das ändert sich im Alter: „Wenn das Ende des Berufslebens absehbar ist und die Kinder aus dem Haus sind, wird man von vielen Verpflichtungen entbunden. Man kann wieder zu sich selbst kommen“, sagt Brockmann.

Was bedeutet Erfüllung für mich?

Ob das Alter dann Erfüllung bringt, hängt einerseits damit zusammen, wie man bis dahin gelebt hat – aber auch, was man nun daraus macht. „Wie ich mein Leben rückblickend und aktuell beurteile, hängt vom Maßstab ab, den ich daran anlege“, sagt Brockmann. „Messe ich alles am finanziellen beziehungsweise beruflichen Erfolg? Oder sind mir soziale Bindungen wichtiger?“

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Anders als noch vor wenigen Jahrzehnten, sind viele Menschen heute nach wie vor gesund und fit, wenn die beruflichen Herausforderungen sich dem Ende nähern. Wenn der Druck durch größere Karriereschritte nachlässt, tun sich Freiräume auf, die genutzt werden können, etwa für soziale Kontakte, Sport, Musik, Literatur, Ehrenamt oder andere Aktivitäten.

Während es in der Mitte des Lebens vorwiegend darum geht, eigene Ziele zu erreichen, gewinnen im Alter der soziale Austausch, Fürsorge und Verbundenheit an Bedeutung. Die Aufmerksamkeit löst sich von der eigenen Person und wendet sich verstärkt anderen zu. Brockmann plädiert dafür, den Eintritt in diese durchaus erfreuliche und vielversprechende Lebensphase zu feiern: „Ähnlich den tradierten Abi-Feiern wären Verrentungsfeste durchaus angemessen – es handelt sich ja auch um das gemeinsame Erlebnis einer Alterskohorte.“ Auch das Alter kann eine höchst soziale Lebensphase sein.

Eine neuer Blick auf unser Leben

Je reifer wir werden, desto besser kennen wir uns selbst. Das ermöglicht uns, neu auf unser Leben zu blicken: „Warum lasse ich mich auf eine Rolle festgelegen, wenn sie mir nicht gefällt? Warum sollte ich meine Persönlichkeit nicht jenseits der 60 oder 70 weiterentwickeln? Das Alter eröffnet die Chance, gegebenenfalls neu zu justieren, was wirklich wichtig im Leben ist“, so Brockmann. Dies könne auch bedeuten, Dinge loszulassen, einen Bruch zu wagen und sich auf Neues einzulassen: Durch was ist mein Lebensstandard definiert, ist das Eigenheim mir wichtig oder eher eine Last? „Es lohnt sich, darüber nachzudenken, etwa das Haus auf dem Land zu verlassen und in die Stadt zu ziehen, wo die Wege kürzer sind, die sozialen und kulturellen Angebote vielfältiger“, sagt Brockmann. Sie empfiehlt, solche Brüche nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern bald anzugehen – solange man fit ist.

Zum Weiterlesen

Eckart von Hirschhausen, Tobias Esch: „Die bessere Hälfte“. Die Zufriedenheit nimmt für die meisten Menschen in der zweiten Lebenshälfte zu. Die beiden Ärzte gehen auf die Suche nach dem Glück, das durch Erfahrung, Weisheit und Reife wächst. Erschienen bei Rowohlt.

TEXT: Lars Klaaßen
FOTOS: Bonninstudio / stocksy, Madrugada Verde / Shutterstock, Marissa Rodr / Unsplash, Rowohlt Verlag