Recht auf Selbstbestimmung
Seit 2020 dürfen sich Menschen in Deutschland beim Suizid straffrei helfen lassen. Allein diese Option zu haben, ist für viele so beruhigend, dass sie den letzten Schritt dann doch nicht gehen.
Im Februar 2020 kippte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“. Seitdem haben Menschen in Deutschland das Recht, selbstbestimmt zu sterben und sich dabei von Dritten helfen zu lassen. Die Rede ist dann von „assistiertem Suizid“ oder „Freitodbegleitung“. Im Unterschied zur verbotenen aktiven Sterbehilfe muss die oder der Betroffene ein tödliches Medikament selbst einnehmen. Dritte dürfen es nicht verabreichen, sondern lediglich beschaffen und bereitstellen. Voraussetzung ist außerdem, dass der Entschluss frei und eigenverantwortlich gefasst wird.
Was allerdings beim assistierten Suizid konkret erlaubt ist und was nicht, ist bislang nicht gesetzlich geregelt. 2023 scheiterten zwei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe im Bundestag an fehlenden Mehrheiten. Nicht zuletzt die Ärzteverbände fordern eine neue gesetzliche Regelung, um Rechtssicherheit zu schaffen. Der Deutsche Ethikrat spricht sich in einer Stellungnahme dafür aus, unter anderem verpflichtende Beratungen für Suizidwillige einzuführen. Außerdem müsse die Suizidprävention gestärkt werden. Gesellschaft und Staat sollten sicherstellen, dass Menschen Alternativen zum Suizid haben und nicht den Freitod wählen, weil sie unter Druck stehen oder ihnen andere Optionen fehlen.
Oft reicht schon die Option
Obwohl man sich noch in einer gesetzlichen Grauzone bewegt, ist die Zahl der vermittelten Selbsttötungen seit dem Urteil von 2020 bereits deutlich gestiegen. 2024 begleiteten die drei Sterbehilfevereinen in Deutschland bereits 977 Suizide. 2020 waren es laut der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland noch 109. Die häufigsten Gründe dafür seien die Furcht vor dem Verlust der eigenen Autonomie und Lebenssattheit in hohem Alter, berichtet Wega Wetzel, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). „Gleich danach kommen unheilbare Krankheiten und die Angst vor Schmerzen.“ Allerdings seien Schmerzen fast immer durch Palliativmedizin beherrschbar, betont Wetzel. Die von dem Verein vermittelten Ärztinnen und Ärzte erörtern deshalb auch palliative Alternativen zum Freitod. „Es kommen aber auch viele zu uns, die auf gar keinen Fall ins Pflegeheim und dann gewindelt und gefüttert werden wollen. Sie wollen sich aufrecht und selbstbestimmt verabschieden können.“
Doch nicht alle sterbewilligen Menschen, die sich an die Sterbebegleiter wenden, machen von der Hilfe dann tatsächlich Gebrauch. „Allein die Option, eine Freitodbegleitung in Anspruch nehmen zu können, beruhigt ungemein, ob bei fortgeschrittenem Krebs, Multipler Sklerose oder Ähnlichem“, sagt Wetzel. „Die Menschen wissen, dass sie diesen ‚Notausgang‘ aktivieren können, und ertragen noch so manches leichter.“ Manche seien sehr entschlossen und würden den Termin mit der Freitodbegleitung zügig wahrnehmen. „Andere leben auch nach ein oder zwei Jahren immer noch relativ gern und gut, auch wenn sie sich zunächst eine kürzere Frist gegeben hatten.“
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Wer kann helfen?
Bislang haben Suizidwillige in Deutschland keine legale Möglichkeit, an tödlich wirkende Betäubungsmittel wie den Wirkstoff Natrium-Pentobarbital zu kommen. Sie sind daher auf professionelle Hilfe angewiesen. Die meisten Menschen, die ihrem Leiden ein Ende setzen wollen, wenden sich deshalb an einen der drei Sterbehilfevereine in Deutschland. Diese Anbieter informieren über die rechtlichen, medizinischen und ethischen Aspekte des assistierten Suizids, prüfen die Freiverantwortlichkeit und Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches und vermitteln schließlich den Kontakt zu Ärztinnen und Ärzten, die bereit sind, beim Suizid zu assistieren. Am Ende wird ein Termin verabredet, an dem man das erforderliche Medikament erhält. Der Mediziner bleibt anwesend, bis der Tod eintritt. Die Kosten für so einen begleiteten Freitod liegen zwischen 4.000 und 9.000 Euro, Voraussetzung ist die Mitgliedschaft in einem solchen Verein.
Daneben können Sterbewillige sich auch direkt an eine Ärztin oder einen Arzt wenden. Seit 2021 ist ihnen der assistierte Suizid berufsrechtlich nicht mehr verboten. Sie sind aber auch nicht dazu verpflichtet und viele Ärzte lehnen die Hilfe aus Gewissensgründen ab. Zudem besteht nach wie vor ein gewisses Risiko, dass sie sich anschließend gerichtlich verantworten müssen (siehe Kasten).
Was ist erlaubt?
Anders als beispielsweise in Österreich oder Spanien ist der assistierte Suizid hierzulande nicht an eine lebensbedrohliche Krankheit oder starke Schmerzen gebunden. Dadurch dass die Entscheidung freiverantwortlich getroffen werden muss, können allerdings Menschen, die schwer an Demenz erkrankt sind, keine legale Suizidhilfe in Anspruch nehmen. Uneinigkeit besteht zum Beispiel bei der Frage, inwieweit Menschen mit einer psychischen Erkrankung eine selbstbestimmte Entscheidung zum assistierten Suizid treffen können. So wurde ein Arzt wegen Totschlags zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er einem an paranoider Schizophrenie erkrankten Menschen im August 2020 bei der Selbsttötung assistiert hatte. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil im Januar 2025. Für den Arzt war der Betroffene trotz seiner Erkrankung klar urteilsfähig, für die Gerichte nicht.
Auch Angehörige und nahestehende Personen dürfen bei Suizid assistieren. Für sie dürfte das allerdings moralisch und psychisch noch schwieriger und belastender sein. Zudem haben sie keine Möglichkeit, legal an todbringende Medikamente zu kommen. Wie oft Angehörige oder Partner dennoch beim Freitod unterstützen, ist nicht bekannt. Eine weitere Möglichkeit ist der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit. „Das sollte man aber nur mit palliativer Begleitung und nach reiflicher Überlegung beginnen“, so Wetzel. „Eine Weile kann dieser Weg wieder abgebrochen werden, irgendwann aber nicht mehr.“
Egal, wie man zum assistierten Suizid steht – er betrifft nur Menschen, die noch selbstbestimmt entscheiden können. Wer für den Notfall vorsorgen will, sollte eine Patientenverfügung verfassen. Darin kann man bestimmen, welche medizinischen Behandlungen erfolgen oder unterlassen werden sollen, wenn man selbst nicht mehr ansprechbar ist. „Wichtig ist, dass man einer Vertrauensperson eine Vorsorgevollmacht gegeben hat, damit sie im Ernstfall medizinische Entscheidungen im Sinne des oder der Betroffenen treffen kann“, betont Wetzel.
Je nach Festlegung können Ärztinnen oder Ärzte in einer aussichtlosen Krankheitssituation lebensverlängernde Maßnahmen wie beispielsweise eine künstliche Ernährung oder Beatmung unterlassen oder beenden und damit passive Sterbehilfe leisten. Auch eine indirekte Sterbehilfe kann Teil der Palliativmedizin sein. Dann werden schmerzlindernde Medikamente verabreicht, die als Nebenwirkung das Leben verkürzen können.
TEXT: Kristina Simons
FOTOS: SelectStock / iStock, Synthetic-Exposition / iStock, Leo Patrizi / Unsplash