Sterben: Wir brauchen den Abschied
Während der Corona-Pandemie waren viele Menschen ausgerechnet am Ende ihres Lebens allein. Das war nicht nur für sie selbst schlimm, sondern auch für die Menschen, die ihnen nahestanden und denen der Abschied verwehrt blieb.
Egal, ob wir reich sind oder arm, ob wir im Leben viel Glück erfahren haben oder eher Leid — sterben müssen wir am Ende alle. Die meisten wünschen sich, den Tod zu Hause im Kreise der Familie zu erleben. Tatsächlich stirbt hierzulande knapp die Hälfte der Menschen im Krankenhaus. Während der Corona-Pandemie waren die Sterbenden auch noch isoliert. Angehörige und Freunde durften Pflegeheime und Krankenhäuser nicht mehr betreten.
Alleine sterben
Am Lebensende ist es ähnlich wie am Lebensanfang: Wir brauchen andere Menschen, die uns begleiten und unterstützen. Wir brauchen Trost und Halt, wenn uns Sorgen und Ängste überkommen. Umso schlimmer ist es, wenn ein Mensch alleine sterben muss.
Doch der einsame Tod ist auch für diejenigen hart, die dieser Person gerne beigestanden und sich von ihr verabschiedet hätten. „Wer nicht begreifen kann, wer nicht sieht, fühlt und spürt, dass ein Zugehöriger gestorben ist, begreift diesen Umstand erst über Umwege“, schreibt Pröpstin Friederike Spengler, stellvertretende Vorsitzende des Thüringer Hospiz- und Palliativverbandes. Trauernde, die nicht Abschied nehmen können, könnten schlimmstenfalls eine anhaltende Trauerstörung entwickeln. So bezeichnen Fachleute den Zustand, wenn Betroffene keinen Weg mehr aus der Trauer finden und den Alltag nicht mehr bewältigen können.
Wie schmerzvoll es für die Angehörigen ist, sich von einem sterbenden Menschen nicht verabschieden zu können, beschreibt auch die taz-Redakteurin Anna Fastabend. Ihr Vater starb während der Pandemie alleine im Krankenhaus. „In einer anderen Zeit, jenseits der Pandemie, wenn Besuche möglich gewesen wären, hätte ich, hätten wir alle in so einer Situation alles stehen und liegen gelassen und wären zu ihm gefahren. Doch in dem Krankenhaus, in dem mein Vater lag, kamen wir nicht mehr an ihn ran.“ Nun plagen sie Schuldgefühle: „Mache ich es mir damit zu einfach? Waren wir zu unbedarft? Hätten wir dieses Besuchsverbot viel stärker hinterfragen müssen?“
Nichts verpassen!
Mit unserem Newsletter „Prinzip Apfelbaum“ verpassen Sie keine Ausgabe. Wir senden Ihnen regelmäßig Anregungen, Rat und Service – kostenlos per E-Mail in Ihr Postfach.
Verwehrte Abschiede
Im Laufe der Lockdowns und mit dem Mehr an Wissen wurden die Vorschriften gelockert. Heute dürfen Angehörige von Corona-Infizierten in Schutzkleidung wieder ins Pflegeheim oder Krankenhaus, wenn sich der nahende Tod abzeichnet. Aber das Problem reicht tiefer. „Dass einem der Abschied verwehrt und Trauern dadurch schwerer wird, ist durch Corona offensichtlich geworden. Doch es ist ein grundsätzliches Problem“, betont Birgit Scheffler, die mit einer Kollegin zusammen das alternative Berliner Bestattungsinstitut Das Fährhaus betreibt.
Einige Krankenhäuser würden die Angehörigen der Verstorbenen drängen, sich möglichst schnell um die Leiche zu kümmern, obwohl es unter normalen Umständen in jeder Klinik genügend Kühlraum gebe, beklagt sie. „Und auch einige Bestatter verweigern einen richtigen Abschied, sagen den Zugehörigen, dass es besser wäre, den Verstorbenen so in Erinnerung zu behalten, wie sie ihn lebend gekannt haben.“ Tatsächlich würden die Verstorbenen aber in den allermeisten Fällen gut aussehen, sodass nichts gegen eine persönliche Abschiednahme spreche.
Dieser Umgang mit dem Tod spiegele auch ein Stück weit unsere Gesellschaft wider: „Es gibt ein Problem und das muss so schnell wie möglich gelöst werden“, so Scheffler. „Aber für den Tod gibt es keine Lösung. Unsere einzige Möglichkeit ist, ihn zu akzeptieren und einen eigenen Weg zu finden, damit umzugehen. Und das braucht Zeit.“ Das Bestattungsunternehmen Das Fährhaus macht es deshalb ganz bewusst anders. „Einer der ersten Sätze, den wir den Trauernden sagen, ist: ‚Du hast mehr Zeit für alles, als Du denkst‘.“
Jeder Tod ist erst einmal ein Schock, selbst wenn die verstorbene Person schon lange krank und das Ende absehbar war. „In so einem Moment kann niemand wirklich entscheiden, was für das persönliche Abschiednehmen wichtig wäre.“ Scheffler rät den Trauernden beispielsweise, Zeit mit dem aufgebahrten Leichnam zu verbringen oder ihn sogar gemeinsam zu waschen und anzuziehen.
Solche Möglichkeiten wurden in der Pandemie sehr eingeschränkt. Menschen, die an oder mit dem Virus verstorben sind, werden in einer Ganzkörperhülle, einer sogenannten Bodybag, an das Bestattungsunternehmen überführt. Sie durfte nicht mehr geöffnet werden. Doch inzwischen wurden die Bestimmungen gelockert und mit entsprechender Schutzkleidung dürfen auch die Angehörigen den toten Menschen wieder sehen und berühren. „Wichtig ist, dass die Trauernden in Ruhe entscheiden können. Manchmal wehren sie zu Beginn vieles ab – in der Hoffnung, dass es weniger schmerzt, wenn sie diese Zeit schnell hinter sich bringen. Mit etwas Ruhe und Beratung entscheiden Zugehörige aber oft doch, die Zeit bis zur Beisetzung mit ihrem verstorbenen Menschen zu nutzen.“
Gemeinschaft trotz Beschränkungen
Auch der Wert von Beisetzungen und den entsprechenden Ritualen wurde sehr deutlich, als diese in der Pandemie nicht mehr möglich waren. Umso wichtiger war es, Alternativen zu finden. Bestatterin Scheffler erinnert sich, wie die Trauerfeiern via Livestream online übertragen wurden: „Einmal waren auf diese Weise 150 Angehörige und Freunde zumindest am Bildschirm dabei.“ Weil das anschließende Zusammenkommen weder zu Hause noch im Restaurant möglich war, brachten Scheffler und ihre Kolleginnen Thermoskannen mit Kaffee, Tee oder Glühwein mit auf den Friedhof. So konnten Angehörige und Freunde noch ein wenig zusammenbleiben. „Sie konnten Erinnerungen an die verstorbene Person teilen, Anekdoten austauschen, Gemeinsamkeit spüren.“
Die Corona-Pandemie hat das Thema Tod stärker ins Leben gerückt und könnte damit einen dringend benötigten gesellschaftlichen Wandel befördern: Denn sich mit dem Sterben zu beschäftigen, kann nicht nur helfen, im entscheidenden Moment auf die eigene Endlichkeit vorbereitet zu sein. Im besten Fall lernt man dabei auch, das Leben mehr zu schätzen und zufriedener zu sein. „Es muss ja nicht jede gleich einen Beruf daraus machen“, sagt Scheffler und schmunzelt.
TEXT: Kristina Simons
FOTOS: Sidney Morgan / Stocksy, Jarama / iStock, Katarzyna Bialasiewicz / iStock