„Tod und Trauer werden ins Private gedrängt“
Der Tod hat keinen Platz in unserem Leben. Gestorben wird im Krankenhaus und wer einen geliebten Menschen verliert, bleibt mit seiner Trauer oft allein. Dem setzen Caroline Kraft und Susann Brückner ihren Podcast „endlich" entgegen. Seit fünf Jahren sprechen sie darin sehr persönlich und offen über Sterben, Tod und Trauer, aber auch über das Leben und die Liebe.
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Susann Brückner und Caroline Kraft wissen, wovon sie sprechen. Beide haben nahestehende Menschen durch Suizid verloren: Susann Brückner ihren Vater und ihren Bruder, Caroline Kraft ihren Ex-Freund. Beide stellten fest, dass sie mit niemandem „normal“ über ihre Trauer reden konnten, bis sie sich als Arbeitskolleginnen in einem Verlag trafen und ins Gespräch kamen. So entstand schließlich die Idee zum endlich-Podcast, zu dem sie sich regelmäßig auch Gäste auf ihre Couch einladen: Dichterinnen und Musiker ebenso wie Trauerexpertinnen oder Bestatter. Nun ist ihr Buch „endlich. Über Trauer reden“ erschienen.
Caroline Kraft, Susann Brückner, in Ihrem Podcast geht es erstaunlich leicht und entspannt zu, es wird auch gelacht. Macht ihn das so erfolgreich?
Caroline Kraft: Zumindest wollten wir genau deshalb den Podcast machen: um so über das Thema zu reden, wie wir es uns nach unseren persönlichen Erfahrungen mit Tod und Trauer gewünscht hätten. Es gibt zwar sehr viel Literatur für Trauernde, aber die haben meist einen ganz vorsichtigen und betroffenen Ton. Darin haben wir beide uns nicht wiedergefunden.
Sie haben beide Nahestehende durch Suizid verloren. Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert? Haben Sie überhaupt erzählt, dass es Suizid war?
Brückner: Mein Vater hat sich das Leben genommen, als ich 19 war. Da haben andere darüber gesprochen, wie er gestorben ist. Die ganze Situation war für mich sehr schambehaftet, was auch daran lag, dass meine Familie in der Kleinstadt, in der wir wohnten, dadurch so ins Zentrum gerückt ist. Später, nachdem ich weggezogen war und selbst entscheiden konnte, was ich auf die Frage nach meinen Eltern erzähle, habe ich teilweise einfach gelogen. Ich habe mir alle möglichen Todesursachen ausgedacht, außer gewaltvolle. Suizid ist schon eine andere Art und Weise zu sterben als nach einer Krankheit. Ich hatte einfach keine Lust, darüber zu reden und mit der wahren Geschichte eine Aufmerksamkeit zu erzeugen, die ich nicht wollte.
Kraft: Bei mir war das ganz anders. Das ist übrigens auch der Grund, warum wir das Buch geschrieben haben. Wir haben im Gespräch miteinander festgestellt, dass wir ganz unterschiedlich auf ähnliche Geschichten reagiert haben. Mir wäre es gar nicht in den Sinn gekommen, nicht zu sagen, dass sich Stefan das Leben genommen hat. Ich konnte und wollte eineinhalb Jahre lang über nichts anderes reden, mich hat das rund um die Uhr beschäftigt. Bei Suizid steht die Todesart so sehr im Vordergrund und die Hinterbliebenen bleiben mit so vielen offenen Fragen und Ungewissheiten zurück. Da muss man erst mal ran, bevor man irgendwann mit der eigentlichen Trauerarbeit beginnen kann.
„Das ist unsere Geschichte, klar dürfen wir das!“
Ist es Ihnen anfangs schwergefallen, im Podcast über Ihre eigenen, sehr persönlichen Trauererfahrungen zu reden?
Brückner: Das war tatsächlich erst mal nicht einfach. Kurz vor unserer ersten Folge hab ich spätabends fast panisch Caro angerufen und bin dann zur Kneipe gefahren, in der sie noch saß. Ich musste unbedingt mit ihr darüber sprechen, ob wir das überhaupt dürfen, das betrifft ja schließlich auch andere Personen. Dann hat Caro den schlauen Satz gesagt: „Das ist unsere Geschichte, klar dürfen wir das!“
Kraft: Am Anfang waren wir noch nicht sicher, wie viel wir tatsächlich erzählen würden. Dann wurde uns aber ziemlich schnell klar, dass der Podcast keinen Sinn ergibt, wenn wir uns selbst ausklammern. Das Thema lebt davon, die Dinge beim Namen zu nennen, und das geht am besten aus der eigenen Erfahrung heraus. Das bestätigen auch die Rückmeldungen von Leuten, die sich darin wiedererkennen und sich in ihrer Art zu trauern nicht mehr allein fühlen.
Brückner: Das Problem ist ja auch, dass Tod und Trauer in unserer Gesellschaft total ins Private gedrängt werden. Es redet halt keiner gerne darüber. Und es gibt keine öffentlichen Rituale, die es uns ermöglichen, das Trauern außerhalb der eigenen vier Wände erfahrbar zu machen.
"Die Dinge beim Namen zu nennen, das geht am besten aus der eigenen Erfahrung heraus."
Hat sich Ihr eigener Umgang mit Sterben und Tod durch den Podcast verändert?
Brückner: Bei mir hat es sich um 180 Grad gedreht! Zum Beispiel hat sich meine Einstellung dazu, wie ich beerdigt werden will, total verändert. Wenn man etwas mit sich herumträgt, hilft es ungemein, mehr darüber zu erfahren. Deshalb haben wir mal einen Betriebsausflug ins Krematorium gemacht. Und letztens sogar Probe gelegen im Sarg, das war schon eine lebensverändernde Erfahrung. Mehr zu wissen gibt einem auch ein Stück Selbstwirksamkeit zurück in diesem ganzen Ohnmachtsgeflecht, das Tod und Sterben mit sich bringen. Die Tatsache, dass das Leben endlich ist, macht es für mich erst so richtig wertvoll und schön.
Kraft: Der Podcast und das Buch waren und sind für mich eine sehr intensive Auseinandersetzung mit meiner eigenen Geschichte, meiner eigenen Trauer. Am Anfang war ich meiner Trauer so hilflos ausgesetzt, wusste überhaupt nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich habe mich dem Thema auf viele verschiedene Arten angenähert, zum Beispiel ein Praktikum beim Bestatter und eine Ausbildung zur Sterbebegleiterin gemacht. Auch wenn man nie wirklich weiß, was mit einem passiert, wenn jemand Nahes stirbt, fühle ich mich nun besser vorbereitet. Ich weiß heute sehr genau, was ich dann brauche.
»In meinen Gedanken sind Busse explodiert oder es gab schlimme Verkehrsunfälle.«
Wie gehen Sie mit der Angst vor dem Tod nahestehender Menschen und mit der eigenen Endlichkeit um?
Brückner: Wenn meine Kinder 15 Minuten nach der vereinbarten Zeit noch nicht zu Hause waren, habe ich schon Panik bekommen. In meinen Gedanken sind dann Busse explodiert oder es gab schlimme Verkehrsunfälle. Sie sind inzwischen Teenager und ich habe ihnen einfach erklärt, was in meinem Kopf passiert, wenn sie später als vereinbart kommen. Seitdem rufen sie in solchen Fällen wirklich immer an. Wenn man offen und produktiv mit solchen Ängsten umgeht, kann man sie auch in Stärken verwandeln, davon bin ich überzeugt. Jeder hadert ja mit der Endlichkeit, der eigenen und der der anderen. Es wäre ja auch furchtbar, wenn es nicht so wäre! Dann wäre ja keine Liebe da. Denn da, wo Liebe ist, will sie auch gehalten werden.
Kraft: Die Angst vor dem Tod anderer ist für mich ein andauernder Prozess. Ich setze mich damit bewusst auseinander, aber einen Umgang habe ich damit nicht wirklich gefunden. Die Gespräche mit Susann und mit unseren Podcast-Gästen helfen mir allerdings sehr. Zu einem gewissen Teil muss ich damit leben, dass ich diese Angst habe. Aber ich weiß heute, dass ich so eine Situation überlebe. Nach Stefans Tod wusste ich das zeitweise nicht.
Der Umgang mit meiner eigenen Sterblichkeit hat sich durch mein Kind verändert. Vorher hatte ich eigentlich keine große Angst vor meinem eigenen Tod. Aber seit ich ein Kind habe, quält mich der Gedanke, dass ich sterben könnte, bevor dieser Mensch bereit für die Welt ist.
Hilft Ihnen die Arbeit als Sterbebegleiterin im Umgang mit der Endlichkeit?
Kraft: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, niemand macht so etwas aus reiner Nächstenliebe, auch wenn das bestimmt oft eine Rolle spielt. Sterbende zu begleiten, empfinde ich als etwas sehr Schönes und es macht mir überhaupt keine Angst. In der Ausbildung lernt man, dass man das nicht zu sehr an sich heranlässt, aber dennoch nicht abstumpft, sondern empathisch bleibt. Es sind eben nicht „meine“ Menschen, die da sterben. Sondern das sind Menschen, denen ich helfen kann. Das ist wie ein lebensveränderndes Hobby geworden und ich glaube, daran ist nichts falsch. Für mich ist das eine Art, dem Leben nahe zu kommen, wie ich es vorher noch nie erlebt habe.
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Fällt es Ihnen manchmal schwer, immer wieder über Tod und Sterben zu reden?
Kraft: Das haben wir uns am Anfang auch gefragt. Hat das Thema nicht ein gewisses Verfallsdatum, ist nicht irgendwann alles gesagt? Das Gegenteil ist der Fall. Der Podcast ist ja thematisch sehr breit gefächert, während wir uns im Buch auf Trauer beschränken.
Brückner: Natürlich gibt es immer mal Situationen, in denen uns das zu viel wird. Aber inzwischen haben wir unsere Strategien gefunden, damit umzugehen. Zum Beispiel lassen wir E-Mails, die uns in dem Moment zu nahe gehen, erst mal ein bis zwei Tage liegen.
»Manche schreiben uns wirklich traurige Geschichten, aber es schimmert immer auch Hoffnung durch.«
Wer hört den Podcast, wissen Sie das?
Susann Brückner: Wir haben festgestellt, dass wir eine sehr zyklische Zuhörerschaft haben. Viele machen gerade einen akuten Trauerprozess durch, stoßen dann auf unseren Podcast und hören ihn von Anfang bis Ende durch. In E-Mails schreiben uns manche, dass ihnen der Podcast in dieser Zeit geholfen hat, besser mit der Situation zurechtzukommen.
Kraft: Ich habe das Gefühl, dass sie uns etwa ein halbes Jahr ganz intensiv folgen, kommentieren und E-Mails schreiben. Dann ist das Thema für die erst mal abgeschlossen und es kommen Neue.
Wie ist die Rückmeldung in den E-Mails?
Brückner: Wir bekommen ganz viel Liebe, das ist wirklich toll und einer der Gründe, warum wir den Podcast nach fast fünf Jahren immer noch machen. Manche schreiben uns wirklich heftige und traurige Geschichten, aber es schimmert immer auch Hoffnung durch und der Glaube an die Liebe, die bleibt.
Zum Weiterlesen und Hören
Susann Brückner und Caroline Kraft: „endlich. Über Trauer reden“ ist bei Goldmann erschienen.
Den Podcast „endlich. Wir reden über den Tod“ gibt es auf iTunes, Spotify, Deezer und Podcast-Plattformen.
GESPRÄCH: Kristina Simons
FOTOS: Christian Werner, Weigand / Photocase, ZB | Matthias Hiekel / picture alliance, Dot.ti / Photocase, James Lee / Unsplash, Goldmann Verlag