Hoffnung aufgeben, neu anfangen
Es wird bestimmt wieder besser: Aus Gewohnheit halten wir an Situationen fest, die längst untragbar geworden sind. Irgendwann sollte man die Hoffnung aber lieber aufgeben. Denn das ist der erste Schritt, etwas Neues zu beginnen.
Manchmal ist die Lage geradezu aussichtlos: Weil beispielsweise die Partnerschaft einen Tiefpunkt erreicht hat, man beruflich in einer Sackgasse steckt oder alle guten Vorsätzen, sich endlich gesünder zu ernähren und mehr Sport zu treiben, im Sande verlaufen sind. Dennoch will man die Hoffnung nicht aufgeben und denkt: Das wird schon, ich muss mich einfach mehr anstrengen! Also versucht man es weiter und weiter. Diese Beharrlichkeit kann in einen Teufelskreis führen. Denn je mehr Zeit und Energie man in sein Ziel steckt, desto schwieriger wird es, dieses aufzugeben.
Dennoch ist es besser, irgendwann alles hinzuschmeißen. Denn das muss nicht um das Ende der Geschichte sein. „Dann tut sich die Chance für einen Neuanfang auf“, sagt Philipp Klein. Der leitende Oberarzt am Zentrum für Integrative Psychiatrie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck spricht von „Kreativer Hoffnungslosigkeit“.
Tauziehen mit dem Monster
Das bedeutet zunächst, die bisherige Strategie „Ich muss mich mehr anstrengen“ als hoffnungslos anzuerkennen. In Kleins Therapeutenbüro kann man das mit einem Seil üben. Das Szenario: „Stellen Sie sich vor, sie wären in ein Tauziehen mit einem Monster verwickelt“, so der Psychotherapeut. „Sie ziehen an der einen Seite, das Monster zieht auf der anderen. Sie ziehen so stark wie möglich, aber Sie merken, dass Sie einfach nicht gewinnen können.“
Das Tauziehen ist anstrengend und kostet enorm viel Energie. Man kann sich dabei kaum noch auf etwas anderes konzentrieren – etwa auf Dinge, die eigentlich wichtig wären. Was also tun? Viele antworten darauf zunächst, man müsse noch kräftiger ziehen. „Aber was, wenn das Monster auf der Gegenseite dann auch stärker zieht?“, fragt Klein. Gäbe es nicht die Alternative, das Tau einfach loszulassen? Manchmal wirft Klein seinem Gegenüber das Tau sogar wiederholt zu, um deutlich machen, dass das „Monster“ möglicherweise immer wieder versuchen wird, ein Tauziehen zu beginnen.
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Die Übung ist eine Metapher, die dabei helfen soll, die eigene Lebenssituation besser zu verstehen. Sie ist Teil der sogenannten Akzeptanz und Commitment Therapie (ACT), mit der Klein arbeitet. In der Regel sind es ja keine unmöglichen Aufgaben, an denen Menschen immer wieder scheitern. Doch manchmal gerät aus dem Blick, zu welchem Zweck wir etwas tun: Wollen wir unser Leben in einer bestimmten Weise gestalten (sogenannte „Hin-zu“-Strategien) oder geht es vor allem darum, etwas loszuwerden, was wir gerade gar nicht haben wollen („Weg-von“-Strategien)?
„Weg von“ oder „Hin zu“?
„Wenn ich etwa ein Glas Wein mit meiner Frau trinke, kann das ein ‚Hin-zu‘-Verhalten mit Blick auf genussvolle Lebensgestaltung und Nähe zu meiner Partnerin sein. Es kann aber auch ein ‚Weg-von‘-Verhalten sein, wenn man nach einem Konflikt mit der Frau nur noch daran denkt, möglichst schnell die Flasche Wein zu öffnen, um den Ärger zu betäuben“, erklärt Klein. Meistens spielen beide Faktoren eine Rolle. Doch wenn Menschen zu sehr versuchen, unangenehme Gedanken und Gefühle zu vermeiden oder zu beseitigen, laufen sie Gefahr, andere Dinge aus dem Auge zu verlieren. Dinge, die ihnen am Herzen liegen. Das kann unglücklich, ja sogar depressiv machen. Um das eigene Leben stärker hin zu den eigenen Werten auszurichten, können vier zentrale Fragen helfen:
- In welche Richtung möchte ich mein Leben verändern?
- Welche inneren Hindernisse stehen dieser Veränderung im Weg?
- Wie gehe ich diesen Hindernissen bislang aus dem Weg? Wie bekämpfe ich sie?
- Wie könnte ich mich stattdessen verhalten, um meine Werte umzusetzen?
Auf solche Fragen gibt es keine schnellen Antworten. Entscheidend ist, in einer ausweglosen Situation irgendwann die Hoffnung aufzugeben, sie doch noch irgendwie bewältigen zu können. Man gewinnt eine neue Freiheit – und die sollte man nutzen.
TEXT: Lars Klaaßen
FOTOS: Natalino Russo
Zum Weiterlesen
Jan Philipp Klein, Ronald Burian: „Ratgeber Akzeptanz- und Commitment-Therapie.“
Das Buch richtet sich an Menschen, die an Depressionen oder Ängsten leiden oder aus anderen Gründen ihr Leben als festgefahren erleben. Mit Hilfe zahlreicher Übungen lässt sich herausfinden, was für einen selbst ein sinnerfülltes Leben bedeutet. Erschienen bei Hogrefe, 2024.