Hoffnung – eine Suche nach Möglichkeiten
Hoffnung ist ein Motor, der uns antreibt und in Krisenzeiten hilft. Was unterscheidet Hoffnung von bloßem Optimismus? Warum haben ältere Menschen mehr Hoffnung? Und was hilft, die Hoffnung nicht zu verlieren? Aus der Forschung kommen interessante Erkenntnisse.
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Hoffnung ist für uns existenziell. Gerade in Lebenskrisen oder unsicheren Zeiten hilft sie uns, trotzdem weiterzumachen. Im schlimmsten Fall bleibt Menschen sogar nur noch ihre Hoffnung. „Hoffnung brauchen wir vor allem dann, wenn Optimismus und Zuversicht nicht mehr möglich sind, zum Beispiel weil wir lebensbedrohlich erkranken, eine nahestehende Person verloren haben oder Krieg erleben“, sagt der Sozialpsychologe Andreas Krafft, der an der Freien Universität Berlin und an der Universität St. Gallen lehrt.
Dabei unterscheidet sich Hoffnung von bloßem Wunschdenken. Blinder Optimismus sei die Erwartung, dass schon alles gut werde, erklärt Krafft. „Das kann allerdings dazu führen, dass man nichts dafür tut, um die Situation zu verbessern.“ Wer hofft, weiß dagegen, dass es auch schlecht ausgehen kann. „Hoffende sind sich der schwierigen Lage bewusst. Sie vertrauen aber darauf, dass es besser werden kann, weil man selbst, Ärzte, Institutionen oder Politiker den Willen und die Fähigkeiten dazu haben.“
Realistischer Blick auf die Zukunft
Giovanni Maio beschäftigt sich vor allem im medizinischen Kontext mit dem Thema: Was bedeutet Hoffnung für Menschen, die chronisch krank sind oder bald sterben müssen? Der Professor am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg sagt, dass zum Hoffen immer auch das Bangen gehört. „Wer vor lauter Optimismus das Bangen abwehrt, ist nicht mehr klarsichtig, sondern macht sich selbst blind, weil er die Augen vor der Wirklichkeit verschließt.“ Hoffende seien hingegen Möglichkeitssucher. „Das ist das Besondere der Hoffnung: Man baut darauf, dass egal, was die Zukunft bringt, man sie bewältigen wird.“
Bei einer schweren Krankheit geht es also nicht darum, fest daran zu glauben, wieder geheilt zu werden. Das sei reine Blauäugigkeit, meint Maio. Der Hoffende glaubt daran, dass es auch mit einem negativen Ergebnis eine Zukunft geben wird, indem man einen guten Weg findet, damit umzugehen. Leider ist die Hoffnung kein Instrument, das man je nach Bedarf einschalten kann, um sich besser zu fühlen. „Sie ist nun mal nichts, was man einfach herstellen kann. Hoffnung ist vielmehr ein inneres Gestimmtsein, das sich ergeben kann“, sagt Maio.
Tatsächlich scheint immer dann, wenn die Lage besonders düster ist oder es um etwas Existenzielles geht, bei den meisten Menschen eine Art Hoffnungsreflex anzuspringen. „Deswegen lernen viele erst in großen Krisenzeiten, wirklich zu hoffen.“ In Situationen, in denen alles infrage gestellt wird, beginnen Menschen sich von der Illusion zu lösen, alles kontrollieren zu können. Man akzeptiert, dass man die Zukunft nicht restlos planen kann. „Solange man davon überzeugt ist, dass man lernen kann, auch mit dem Widrigsten umzugehen, bleibt die Zukunft offen und weit. Das ist das Schöne an der Hoffnung“, so der Medizinethiker. Der Horizont schließe sich erst, wenn man die Hoffnung aufgebe.
»Hoffende sind Möglichkeitssucher. Egal, was die Zukunft bringt, man wird sie bewältigen.«
„Dieser Hoffnungsreflex ist die eigentliche Lebensenergie, die wir brauchen, um aus schwierigen Situationen wieder herauszukommen“, sagt auch Andreas Krafft. Zum Teil entspringt diese Hoffnung der Lebenserfahrung. Wer schon einmal etwas Schlimmes erlebt und es schließlich überwunden hat, vertraut darauf, dass es auch dieses Mal wieder Licht am Ende des Tunnels geben wird. Das zeigt auch das Hoffnungsbarometer, das Krafft seit 2009 erstellt. Dafür werden Menschen in der Schweiz – und mittlerweile auch in zwölf weiteren Ländern – befragt, welche Erwartungen sie für die Zukunft haben, worauf sie persönlich hoffen und was ihnen Hoffnung macht. Ein wichtiges Ergebnis: Die Hoffnungsfähigkeit nimmt mit dem Alter immer stärker zu.
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Auf das Positive konzentrieren
Doch angesichts der derzeitigen Nachrichtenlage, die von Kriegen, Klimawandel und anderen Krisen dominiert wird, fällt es vielen Menschen schwer, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Sie empfinden ein Gefühl der Bedrohung und Unsicherheit. Das aktuelle Hoffnungsbarometer zeigt einen erstaunlichen Gegensatz zwischen den positiven Erwartungen, die Menschen für ihr persönliches Leben haben, und dem Pessimismus, mit dem sie in die globale Zukunft blicken.
Grund ist aber offenbar weniger die Weltlage an sich, „sondern die allgemeine Ratlosigkeit und Ohnmacht, die für die negativen Zukunftsperspektiven charakteristisch sind“, wie es im Hoffnungsbarometer heißt. „Die Ereignisse entwickeln sich zu einem Gefühl der allgegenwärtigen Ungewissheit, Unvorhersehbarkeit und Unsicherheit, weil man nicht weiß, wohin die Welt sich entwickeln wird.“
Dass sich viele Menschen von der Flut an Hiobsbotschaften überfordert fühlen, hängt auch mit dem sogenannten Negativitätsbias zusammen, der unsere Wahrnehmung verzerrt. „Dadurch konzentrieren wir uns viel stärker auf negative Gefühle, Gedanken oder Erlebnisse als auf positive oder neutrale“, erläutert Krafft. Eine Erklärung könnte in der Evolution liegen: Fürs Überleben war es einst wichtiger zu wissen, wo Gefahren lauern, als sich Positives zu merken. „Wir neigen allerdings dazu, das Negative zu generalisieren“, so Krafft.
Damit die pessimistischen Gedanken nicht die Oberhand gewinnen, kann es zum Beispiel helfen, Nachrichten bewusster zu konsumieren: weniger soziale Medien mit aufgebauschten Inhalten und weniger Nachrichten in Bild und Ton, dafür mehr Lektüre seriöser Medien. Denn beim Lesen kann man eine gewisse Distanz wahren, aus der sich die Informationen differenzierter einordnen lassen.
Es geht also keineswegs darum, das Schlechte um uns herum zu ignorieren, sondern vielmehr darum, ein positives Gegengewicht zu schaffen. So kann es hilfreich sein, sich bewusst auf das Positive im eigenen Leben zu konzentrieren und zum Beispiel jeden Abend zu notieren, welche drei Dinge am Tag gut waren. Haben wir ermutigende Gespräche geführt, eine positive Rückmeldung bekommen oder gegeben, Zuneigung empfunden?
»Das Hoffnungsbarometer zeigt einen erstaunlichen Gegensatz zwischen den positiven Erwartungen, die Menschen für ihr persönliches Leben haben, und dem Pessimismus, mit dem sie in die globale Zukunft blicken.«
Die wichtigsten Quellen der Hoffnung
Die eigene Welt ist auch der Bereich, in dem man direkt handeln und etwas verändern kann. Durch Engagement merken wir, dass wir im Kleinen etwas positiv verändern können, selbst wenn um uns herum nicht alles gut ist. Im aktuellen Hoffnungsbarometer steht an vierter Stelle der wichtigsten Quellen, aus denen Menschen Hoffnung schöpfen: Gutes tun für einen sinnvollen Zweck. Es stärkt die Hoffnung, wenn man erlebt, dass man anderen Menschen helfen kann.
Zugleich ist Hoffnung die Voraussetzung für engagiertes Handeln. „Das Paradoxe an der Hoffnung ist, dass sie einerseits die Voraussetzung für Handeln ist und man andererseits akzeptiert, dass unsere eigenen Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind und wir die Unterstützung anderer brauchen“, sagt Zukunftsforscher Krafft.
Problematisch ist dagegen das, was Krafft rückwärtsgewandte Hoffnung nennt: „Wir erleben das unter anderem bei den Anhängern politischer Organisationen oder Parteien, für die ‚früher alles besser war‘ und die ‚die alte Ordnung wiederherstellen‘ wollen und das mit unrealistischen Versprechungen verbinden. Eine nach vorne gerichtete Hoffnung bedeutet hingegen, sich für Neues und auch für andere Menschen zu öffnen.“
Letztendlich ist Hoffnung ein soziales Phänomen. Als wichtigste Hoffnungsquellen geben die Befragten im Hoffnungsbarometer seit Jahren neben der Natur die Unterstützung von Familien und Freunden an. Menschen, die sich mit anderen verbunden fühlen, haben mehr Hoffnung. Entsprechend ist Einsamkeit einer der größten Hoffnungskiller. In individualistischen Gesellschaften, in denen jeder glaube, alles alleine schaffen zu müssen, breche die Hoffnung in Krisensituationen eher zusammen, beobachtet Krafft und nennt als Beispiel die Corona-Pandemie.
„Anfangs haben viele darauf vertraut, dass wir das alles hinbekommen werden. Diese Zeit war geprägt von großer Hilfsbereitschaft und Solidarität. Als der Umgang damit aber immer spannungsvoller und konfliktreicher wurde, die Frage: ‚Impfung, ja oder nein?‘ Familien und Freunde entzweit hat, haben sich viele Menschen den anderen gegenüber wieder verschlossen.“ Darunter habe auch die Hoffnung gelitten.
TEXT: Kristina Simons
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