Nach der Flut:
Nie die Hoffnung aufgeben
Die Flutkatastrophe 2021 an der Ahr kostete 135 Menschen das Leben. Das Hochwasser zerstörte Häuser, Brücken, Anbauflächen und Weinfässer. Viele Winzer verloren ihre Existenzgrundlage. Lukas Sermann hat alles wieder aufgebaut. Woher nahm er die Zuversicht?
Lesedauer ca. 4 Minuten
![Der Winzer Lukas Sermann Die große Zahl freiwilliger Helfer gab dem Winzer Lukas Sermann Hoffnung nach der Flut.](https://magazin.mein-erbe-tut-gutes.de/wp-content/uploads/2024/04/Prinzip-Apfelbaum_Hoffnung_Menschen_Portraet_1024-280x383.webp)
Bereits 1936 gründete sein Urgroßvater Theo das Weingut Sermann im Ahrtal. Heute führt Lukas Sermann das Unternehmen, das zu den größeren der Region gehört, in 4. Generation. Neben dem Weingut betreibt er auch das Restaurant Thüres mit Gutsausschank. Die Flut hat den 34-Jährigen nicht vertrieben, sondern noch enger mit seiner Heimat verbunden. Ein Gespräch darüber, wie man nach einer verheerenden Flut nicht verzweifelt.
Wie haben Sie und Ihre Familie die Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 erlebt?
Mein Vater hat nachmittags angefangen, Sachen wegzuräumen und ich überlegte, warum er so panisch ist. Dann stieg das Wasser und ich wusste, es gibt Hochwasser. Wir kennen das ja, schon als Kind war Hochwasser normal für mich. Ich bin losgefahren, um eine Palette Blumenerde zu holen als Ersatz für Sandsäcke. Als ich wiederkam, war schon keine Zeit mehr fürs Abladen.
Konnten Sie noch etwas retten?
Alles ging Schlag auf Schlag. Inzwischen war eine Hochwasserwarnung für fünf Meter gekommen. Wir haben alles, was sich bewegen konnte, wie zum Beispiel den Stapler und elektrische Ameisen, aus der Halle herausgeholt und versucht, auf der Straße an höhere Stellen zu schieben. Irgendwann war dann Ende mit höchster Stelle. Dann gingen wir in den Keller im Hauptgebäude, weil der anfing, voll zu laufen. Gott sei Dank gibt es Pumpen. Wir pumpten das Wasser heraus und eine Zeitlang hatte ich das Gefühl, das Wasser steigt nicht mehr. Irgendwann ist aber der Strom ausgefallen. Und da wusste ich, es wird nicht mehr lustig. Das Wasser stieg so hoch, dass wir uns selber retten mussten. Wir sind in ein Nachbarhaus gegangen und dort vom ersten in das zweite Obergeschoss hochgestiegen. Alle waren pitschnass, keiner hat geschlafen.
![Zentrum des Weinguts ist die Lager- und Produktionshalle. Mit viel Hilfe konnte Lukas Sermann die Halle wieder aufbauen.](https://magazin.mein-erbe-tut-gutes.de/wp-content/uploads/2024/04/Prinzip-Apfelbaum_Hoffnung_Menschen_Halle_heil_1024-280x210.webp)
Die Halle mit den Weinfässer, vor...
![Umgekippte Weinfässer in der Halle. Bei der Flutkatastrophe wurde auch die Lager- und Produktionshalle überschwemmt.](https://magazin.mein-erbe-tut-gutes.de/wp-content/uploads/2024/04/Prinzip-Apfelbaum_Hoffnung_Menschen_Halle_kaputt_1024-280x373.webp)
...und nach der Flut.
Sie konnten erst am nächsten Morgen zu Ihrem Haus zurück. Konnten Sie den Schaden da schon überblicken?
Mir war klar, dass ich nicht mehr so viele Besitztümer hatte, war aber erleichtert, weil ich wusste, dass es meiner Familie gut geht. Ich habe erst einmal geschlafen, ich war ja die ganze Nacht wach gewesen. Ich hatte noch mein Handy und habe auf Instagram um Hilfe gebeten. Am nächsten Tag standen schon sieben bis acht Helfer auf dem Weingut, um beim Aufräumen zu helfen.
Was haben Sie durch die Flut verloren?
Der Schaden liegt bei etwa zwei Millionen Euro, private und geschäftliche Verluste zusammengenommen. Alle Dinge mit Elektronik waren natürlich kaputt, mein Auto war weggeschwommen. Der Stapler, die Pumpen, die Fässer, alles zerstört. Das können Sie sich nicht vorstellen. Man will zum Beispiel etwas aufschreiben, und die erste Frage ist, wo bekommt man einen Kugelschreiber her. Als ob man auf einer Insel stranden würde. Witzigerweise fanden wir im Büro einen einzigen Ordner, dessen Aufschrift man noch lesen konnte. „Wiederaufbau“ stand da drauf. Diesen Fund habe ich wie eine Trophäe gefeiert.
Wie ist es, wenn das, wofür man so lange gearbeitet hat, in einer Nacht zerstört wird?
Ich war nie ganz verzweifelt, weil wir soviel Hilfe und Unterstützung bekamen. Viele Leute sind auf meine Social Media Postings aufmerksam geworden und fragten, ob Sie helfen können. Das Wichtigste war, dass wir überlebt hatten. Ich dachte, dass es schon irgendwie werden wird. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht wie, aber ich hatte einfach die Hoffnung.
![Bis zur Dachrinne stand das Wasser. Das Haus der Sermanns wurde bis zur Dachrinne überflutet.](https://magazin.mein-erbe-tut-gutes.de/wp-content/uploads/2024/04/Prinzip-Apfelbaum_Hoffnung_Menschen_Haus_1560-280x339.webp)
![Die Helfer schoben Schlamm weg und räumten auf. „Ohne die Helfer hätten wir es nicht geschafft“, sagt Winzer Sermann.](https://magazin.mein-erbe-tut-gutes.de/wp-content/uploads/2024/04/Prinzip-Apfelbaum_Hoffnung_Menschen_Helfer_1024-280x280.webp)
"Ohne die Helfer wäre es nicht gegangen."
Wie ging es Ihren Eltern?
Meine Eltern waren schon manchmal verzweifelt. Das war nicht so einfach. Ich habe Ihnen gesagt, es gibt keine Beweise für die Horrorszenarien, die ihr heraufbeschwört. Wartet ab, was die Zukunft bringt. Ich hatte die Hoffnung, dass wir soweit unterstützt werden, bis wir alles wieder aufgebaut haben.
Was haben die freiwilligen Helfer und Helferinnen gemacht?
Einfach alles. Den Schlamm entfernt und geborgen und aufgeräumt. Im Herbst haben uns viele im Weinberg geholfen. Ohne die Helfer wäre es nicht gegangen. Schlimm war das Gefühl, den Herbst vor der Tür zu haben. Wir wussten anfangs nicht, wie wir die Ernte reinholen sollten. Aber wir waren relativ schnell mit der Halle fertig und konnten uns dann dem Verkauf und unserem Haus widmen. Es ging weiter mit Stemmarbeiten und mit Saubermachen.
Nach etwa drei bis vier Monaten brauchten wir Fachleute für die Arbeiten. Viele Firmen haben uns ihre Dienstleistungen zu günstigen Preisen angeboten und teilweise sogar geschenkt. Dann die vielen Geldspenden aus dem privaten Bereich. Ich muss es immer wieder betonen, ohne all die Hilfe wäre es nicht gegangen.
![Hoffnung: neue Knospen an den Weinreben. Die höher gelegenen Weinberge blieben unversehrt.](https://magazin.mein-erbe-tut-gutes.de/wp-content/uploads/2024/04/Prinzip-Apfelbaum_Hoffnung_Menschen_Knospe_1560-2-280x228.webp)
![Nur wenige Weinflaschen konnten gerettet werden. Auf das Gute zu hoffen war für Sermann der richtige Weg.](https://magazin.mein-erbe-tut-gutes.de/wp-content/uploads/2024/04/Prinzip-Apfelbaum_Hoffnung_Menschen_Flaschen_1560-1-280x280.webp)
"Ich habe gemerkt, wie sehr mir die Region am Herzen liegt."
Dann gab es ja noch die staatliche Unterstützung.
Ja, erst einmal die Soforthilfe bis zu 2.000 Euro. Davon musste ich alles neu kaufen. Ich besaß nur meine Hose, ein T-Shirt, einen Pullover und mein Handy. Dann die Inventarhilfe bis zu 20.000 Euro pro Haushalt, die pauschal ausgezahlt wurde. Das ging auch sehr schnell. Bei mir als noch relativ jungen Menschen kam das ganz gut hin. Bei meinen Eltern, die seit 30 Jahren zusammenwohnen, sind 20.000 Euro nicht so viel. Dann gab es noch die Aufbauhilfen der ISB, der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz.
Hatten Sie noch Zeit und Kraft, anderen zu helfen?
Ja. Wir hatten manchmal zu viele Helfer, die ich dann zum Nachbarn schickte. Bei älteren Winzern räumten wir ihre Weinberge auf. Als uns Bauern aus der Pfalz frisches Gemüse hochbrachten, holte ich es ab und verteilte es hier in der Gegend.
Was hat die Flut bei Ihnen verändert?
Von der Einstellung her wurde ich bestätigt. Wenn man an das Gute glaubt, läuft es im Leben einfacher. Ansonsten bin ich jetzt hier in Altenahr sehr engagiert. Ich habe gemerkt, wie sehr mir die Region am Herzen liegt. Ich bin zwar im Ahrtal groß geworden, habe mich aber nie so richtig als Ahrtaler gefühlt habe, weil mir die Nachteile des Dorfes zu groß erschienen. Das hat sich verändert. Ich bin jetzt Vorsitzender im Ahrwein e.V., dem Verein der Winzer, und bewerbe mich für den Verbandsgemeinderat.
GESPRÄCH: Angelika Friedl
FOTOS: Privat