Sinn: Was sind meine Werte?
Was macht mein Leben wertvoll? Spätestens bei schwerer Krankheit, Trennung, Jobverlust oder anderen großen Krisen stellt sich die Frage nach den wahren Werten im Leben. Sie zeigen uns, was wirklich wichtig ist und wofür es sich zu leben lohnt.
Menschen, die ihr Leben als sinnvoll ansehen, sind zufriedener. Das zeigen viele psychologische Studien. Was zu einem sinnerfüllten Leben dazugehört, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Wichtig ist aber, dass wir ein Leben führen, das im Einklang mit unseren Werten steht, meint die Psychologin Tatjana Schnell von der Universität Innsbruck. Sie spricht von Kohärenz: Mein Leben erscheint mir stimmig und passend und ich widerspreche in meinem Handeln nicht mir selbst.
Dafür muss man sich darüber klar werden, was die eigenen Werte eigentlich sind. Was für ein Mensch will ich sein, wofür will ich mich einsetzen? Werte sind so etwas wie der Polarstern, an dem wir uns ausrichten können. Sie helfen bei schwierigen Entscheidungen und motivieren uns in existenziellen Krisen. „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie“ schrieb der Philosoph Friedrich Nietzsche einmal. Ähnlich äußerte sich der Psychologe C.G. Jung in seinem Aufsatz Der Mensch und seine Symbole. Ein Mensch „kann die unglaublichsten Schwierigkeiten ertragen, wenn er davon überzeugt ist, dass sie einen Sinn haben“.
Oft haben wir nur verschwommene Vorstellungen davon, welche Werte für uns wichtig sind. Die meisten würden Begriffen wie Freiheit, Sicherheit, Spaß, Kreativität oder Freundschaft zustimmen. Doch sie sind abstrakt und können ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Manche verstehen unter Freiheit, viel zu reisen und sich nicht an einen Ort zu binden. Andere verbinden damit eher finanzielle Unabhängigkeit und den Wunsch, viel Platz für sich zu haben. Um sich seiner Werte bewusst zu werden, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Der Psychologe Matthias Wendenroth empfiehlt, sich folgende Fragen stellen:
- Woran merken Sie, dass Ihnen etwas wichtig ist?
- Wie kann eine Nachbarin oder ein Freund merken, dass Ihnen etwas wichtig ist?
- Sie haben nur noch sechs Monate zu leben. Was wollen Sie unbedingt noch tun?
- Bei welcher Beschäftigung fühlen Sie sich sehr lebendig?
- Sie haben drei Wünsche frei. Welche sind es?
- Sie bekommen einen Preis für Ihr Lebenswerk verliehen. Was wird in der Laudatio über Sie erzählt?
- Wie sind Sie, wenn Ihnen niemand zuschaut?
- Sie leben einen bestimmten Wert, wenn…
- Es verletzt diesen bestimmten Wert, wenn…
Ein anderer Weg, seine Werte zu finden, kann sein, Tagebuch zu führen. Seine Gedanken und Gefühle zu Papier zu bringen kann vor allem dann helfen, wenn wir in unserem Alltag sehr eingespannt sind oder uns Sorgen und Ängste niederdrücken. In solchen Situationen achten Menschen oft nicht gut auf ihre Gefühle, mit dem Tagebuch kommen wir ihnen wieder auf die Spur. Am besten schreiben Sie täglich oder zumindest mehrmals in der Woche. Es reichen kurze Sätze oder auch nur Stichpunkte:
- Welche Ereignisse haben Sie im Alltag besonders bewegt? Wenn Sie etwas emotional berührt, könnte das für Sie ein wichtiger Wert sein.
- Die Beobachtungen können Sie in einer Tabelle mit vier Spalten eintragen. Jeweils eine Spalte für die Situation, für das empfundene Gefühl, für den Lebensbereich (z.B. körperliches Wohlbefinden, Gesellschaft, Arbeit) und für den Wert, der dabei eine Rolle spielte.
- Machen Sie zuletzt den Eintrag in der Spalte „Wert“, also auf welchen Wert Ihr Gefühl hinweisen könnte.
- Positive Gefühle zeigen oft, dass ein Wert bestätigt wurde, negative, dass er bedroht oder verletzt wurde. Ein Beispiel für einen Eintrag könnte sein: „Gesehen, wie ein Vater seine Tochter tröstet.“ Die Reaktion wäre „Rührung“, der Lebensbereich „Familie“ und der Wert „ein liebevoller Elternteil sein“. Oder Sie ärgern sich, wenn jemand Müll in den Park wirft. Der bedrohte Wert wäre die Umwelt.
Diese Anleitung zu einem Werte-Tagebuch stammt ebenfalls von dem Psychologen Matthias Wengenroth und ist Teil der Akzeptanz- und Commitmenttherapie. Die so genannte ACT ist eine neuere Therapieform, die auf der klassischen Verhaltenstherapie basiert. Bei der ACT spielen Werte eine zentrale Rolle, weil wir durch sie erkennen, wer wir sein wollen und was uns im Leben wichtig ist.
Deswegen hier noch eine weitere ACT-Übung, die jeder für sich ausprobieren kann: die „Reise zum eigenen Grabstein“. Dabei besuchen Sie in Ihrer Vorstellung einen Friedhof. Auf den Grabsteinen stehen aber nicht nur die Namen der Toten, sondern auch das, was sie im Leben besonders bewegt hat:
- Auf einem Grabstein lesen Sie: „Hier ruht Monika T., sie hat alles dafür getan, um abzunehmen.“ Auf einem anderen steht: „Hier ruht Torsten B., er wollte immer alles perfekt machen.“ Auf den anderen Grabsteinen können Sie lesen, wie viel Kraft die Verstorbenen aufgewendet haben, um unangenehme Gefühle wegzudrücken.
- Überlegen Sie: Wie viel Energie stecken Sie in negative Gefühle?
- Was würde auf Ihrem eigenen Grabstein stehen, wenn Sie weiter machen wie bisher?
- Und schließlich: Wenn Sie Ihr Leben danach ausrichten, was Ihnen wichtig ist, was würde dann auf Ihrem Grabstein stehen?
Werte sind übrigens nicht mit Zielen gleichzusetzen. Natürlich braucht jeder Mensch Ziele im Leben. Aber Werte sind mehr. Wenn wir sie kennen, können wir unsere Ziele an ihnen ausrichten. Und hoffentlich ein Leben führen, das unserem tiefsten Inneren entspricht.
Zum Hören:
Der Audio-Ratgeber „Den inneren Kompass finden“ von Matthias Wengenroth hilft dabei, das Leben nach den individuellen Werten auzurichten. Das Hörbuch mit zwei CDs verspricht nicht weniger als ein erfüllteres Leben. Beltz Verlag, 2017. 100 Minuten. Auch zum Downloaden.
TEXT: Angelika Friedl
FOTOS: Lina Tronchez / Unsplash, Freemixer / iStock, Halfpoint / iStock, Rachel Claire / Pexels, Fabrizio Conti / Unsplash, Beltz Verlag