Ratgeber

No. 19 – GEMEINSCHAFT Ein Baum vor dem Haus: Gemeinschaftliche Wohnformen

Wohnen: Ein Dorf in der Stadt

Gemeinschaftlich wohnen, ohne die Privatsphäre aufzugeben – die Idee der Mehrgenerationenhäuser, ist so gut, man könnte glatt selbst eins gründen. Stefanie Towarnicki hat es geschafft: Sie hat das passende Objekt, die Hausgemeinschaft und die Fördergelder gefunden.

„Das Herz des Hauses ist der Gemeinschaftsraum“, schwärmt Stefanie Towarnicki, „obwohl wir wegen der Corona-Pandemie gerade nur sehr eingeschränkt zusammenkommen können.“ Denn hier treffen sich nicht nur die Bewohner des Wohnprojekts, es finden auch Seminare und Kulturveranstaltungen statt.

Im Rosenhaus am Seilerweg leben 14 Menschen zwischen 30 und 81 Jahre. Die ehemalige Schule im friesländischen Varel wurde komplett umgebaut, bevor die generationenübergreifende Gemeinschaft dort einziehen konnte. Die Idee dazu hatte die heute 77-jährige Towarnicki – und sie hatte die nötige Ausdauer, sie auch umzusetzen. „Über sieben Jahre hat es von der Idee bis zum Einzug im Jahr 2015 gedauert“, berichtet sie.

Die ehemalige Krankenschwester hatte über ihre damalige Arbeit die so genannten Sozialstationen kennengelernt: „Solche gemeinsamen Wohnformen fürs Alter weckten mein persönliches Interesse.“ Auch Towarnicki wünschte sich, in einem generationsübergreifenden, gemeinschaftlichen Wohnprojekt alt zu werden. Weil sie im kleinen Varel nichts passendes fand, entschied sie sich dazu, selbst ein neues Projekt zu starten. Hilfe fand sie unter anderem beim Forum Gemeinschaftliches Wohnen (siehe Kasten).

Am Eingang zum Mehrgenerationenhaus: Laufrad und Gehwagen.

Außerdem sprach sie die Stadtverwaltung in Varel an. „Die ersten am Projekt Interessierten trafen sich einmal im Monat mit Vertretern der Kommune im Rathaus. Darüber berichtete die Zeitung, was weitere Interessierte zu uns führte.“ Eine kommunale Wohnungsbau-Gesellschaft kaufte das alte Schulhaus, um es an die Bewohner günstig zu vermieten. Es wurden Fördergelder beantragt, mit denen schließlich ein Teil der Umbaukosten finanziert werden konnte. Die Bewohnerinnen und Bewohner wiederum gründeten einen Verein, der als offizieller Mieter für den Gemeinschaftsraum eintritt.

Gemeinschaftliche Wohnformen

  • Mehrgenerationenhaus: Als Familie, Paar oder Einzelperson hat man einen eigenen Wohnbereich. In der Regel werden einige Räume gemeinschaftlich genutzt. Die Generationen können sich gegenseitig helfen, zusammen feiern oder im Garten arbeiten. Diese Art des Zusammenlebens suchen viele Menschen auch abseits von Familie und Verwandtschaft.
  • Senioren-WG: Jedes Mitglied hat ein eigenes, individuell eingerichtetes Zimmer oder eine Wohnung. Gemeinschaftlich genutzt werden etwa Küche, Bad, Esszimmer und Wohnzimmer. Die Bewohner können sich gegenseitig unterstützen. Eine besondere Form ist die Demenz-WG. Hier wohnen und leben an Demenz Erkrankte, Pfleger sowie Betreuer zusammen.
  • Betreutes Wohnen: Wer hier lebt, hat eine eigene Wohnung, oft in einer größeren Anlage. Im Idealfall sind die Bewohner im Alltag selbstständig. Im Fall von Einschränkungen kümmert sich ein Betreuungsdienst. Benötigen ältere Menschen schließlich umfassende Pflege und Betreuung, ist ein Pflegeheim die Lösung.

Ein langer Weg, der aber auch für die Gemeinschaft wichtig war. „Wir wollten wir uns gut kennenlernen und über grundsätzliche Dinge des künftigen Zusammenlebens einig werden“, sagt Towarnicki. Deshalb begannen die Mitglieder des Projekts anderthalb Jahre vor dem Einzug in ihr Haus mit einer Supervision. Dort wurde darüber gesprochen, wer welche Befürchtungen und Erwartungen mitbringt: Wie eng will man miteinander wohnen, was miteinander teilen?

Die 14 Vereinsmitglieder bewohnen jeweils eine Zweizimmerwohnung und teilen sich darüberhinaus eine Gästewohnung, eine Terrasse, den Waschkeller und natürlich den Gemeinschafsraum. Alle sechs Wochen kommen sie zu einem Treffen zusammen. „Der Gesprächsbedarf für Organisatorisches ist immer groß“, so Towarnicki. „Wir besprechen, welche Aufgaben im Haus und im Garten anfallen und wie wir sie aufteilen.“

Wege zum gemeinschaftlichen Wohnen

  • Als bundesweites Netzwerk hat sich bereits 1992 das Forum Gemeinschaftliches Wohnen gegründet. Der Verein mit Regionalstellen in 12 Bundesländern informiert über Wohnprojekte und unterstützt Interessierte dabei, die ihnen gemäße Form zu finden. Dort findet man auch Veranstaltungen und Vernetzungsangebote. In der WIN-Förderdatenbank kann nach Darlehen und Zuschüssen gesucht werden, gefiltert nach Zielgruppen, Standorten und Förderkomponenten.
  • Auch die Online-Plattform bring-together verbindet Menschen, die gemeinschaftlich Wohnen, Leben und Arbeiten wollen. Ab Frühjahr 2022 können Kommunen ihre Leerstände für gemeinschaftliches Wohnen dort inserieren. Das Unternehmen bietet auch Seminare für ein Leben in der Gemeinschaft an.
  • Speziell über Mehrgenerationenhäuser informiert das Bundesfamilienministerium auf seinem gleichnamigen Portal. Über eine Suchmaske findet man dort Projekte im gewünschten Postleitzahl-Bereich.

Füreinander da zu sein, heißt auch, dass man sich im Krankheitsfall umeinander kümmert. Dann wird geregelt, wer wann zu Besuch kommt, kocht und einkauft. Im Haus gibt es auch eine für alle zugängliche Notfall-Mappe, in der für jede Bewohnerin und jeden Bewohner die Ansprechpartner aufgelistet sind: vom zuständigen Arzt bis zu Verwandten, die benachrichtigt werden sollen. Wer einen Pflegedienst benötigt, bestellt diesen ins Haus. Doch wenn das einmal nicht mehr ausreicht – die Hausgemeinschaft kann kein Pflegeheim ersetzen.

Normalerweise kommen die Bewohnerinnen und Bewohner vom Rosenhaus regelmäßig im Gemeinschaftsraum zusammen, manchmal einfach so, manchmal zu Veranstaltungen. Zweimal im Jahr lädt der Verein die Nachbarschaft zur Cafeteria ein. Seit Corona sind solche Zusammenkünfte nur noch auf der Terrasse oder im Garten möglich. „Wir sind aber zuversichtlich“, betont Towarnicki, „dass unsere Gemeinschaft bald wieder mehr Zeit miteinander verbringen kann – für dieses Miteinander sind wir hier schließlich zusammengezogen.“

TEXT: Lars Klaaßen
FOTOS: Tommi / stocksy, willma / photocase