No. 19 – GEMEINSCHAFT

Impulse

Profit und Gemeinwohl

Sie nennen es Verantwortungseigentum – Unternehmer, die ihre Firma in die Hände der Belegschaft übergeben. Ihnen geht es nicht nur um Profite und Rendite, sie wollen auch etwas für das Gemeinwohl tun.

Lesedauer ca. 6 Minuten

Firmenkapital als Schirm – zum Schutz vor rein profitorientierten Investoren

Paul Kupfer gründet gerne Unternehmen. Mit seinen 33 Jahren hat er gerade seine zweite Gründung hinter sich: Suits for Good produziert stretchfähige Anzüge aus Biobaumwolle und Recycling-Nylon, die für eine Hochzeit genauso gut funktionieren sollen wie fürs Fahrradfahren. Nach einem erfolgreichen Crowdfunding war die erste Kollektion schnell ausverkauft. Auch sein erstes Start-up läuft gut. Soulbottles gründete Kupfer mit einem Studienfreund, als beide noch keine 25 waren. Das Unternehmen stellt hip designte, wiederverwendbare Trinkflaschen her, die Menschen anregen sollen, mehr klimafreundliches Leitungswasser zu trinken und Plastikmüll zu vermeiden.

Mit dieser Idee ist Soulbottles auf 65 Mitarbeiter und zuletzt 4,6 Millionen Euro Jahresumsatz gewachsen. Junge Gründer gibt es in Berlin viele, auch erfolgreiche. Das Besondere an Paul Kupfer ist jedoch, dass er gar kein Interesse daran hat, mit seinen Firmen das große Geld zu machen. Er möchte sie auch nicht verkaufen, geschweige denn besitzen. Der zweifache Gründer steht für eine neue Art, zu wirtschaften, die in Deutschland immer mehr Anhänger findet. Sie nennen sich „Verantwortungsunternehmer“.

Zum Online-Interview erscheint der schlanke, blonde Gründer mit Nasen- und Ohrenpiercings im gutsitzenden, weißen Herrenhemd. Hinter ihm an der Wand hängen so unterschiedliche Dinge wie eine Kletterausrüstung, eine Gitarre, ein eingerahmtes Poster von Indiana Jones und ein paar feuerrote Boxhandschuhe.

Der Gründer von Soulbottles, Paul Kupfer

„Wenn wir Gewinn machen, stecken wir das Geld in neue Ideen oder spenden es." – Unternehmer Paul Kupfer

„Wenn wir Gewinn machen, stecken wir das Geld in neue Ideen oder spenden es“, fasst Kupfer seine Philosophie zusammen. Die von Soulbottles sei ökologisch und sozial. Um diesen Pfad zu unterstützen, haben die beiden Gründer des Unternehmens sich selbst enteignet. Soulbottles gehört heute zu 97 Prozent den Mitarbeitern. Gewinne dürfen nicht ausgezahlt werden, sondern bleiben im Unternehmen. Die Gehälter sind intern allen bekannt, Kupfer selbst verdient 3.800 Euro brutto. Er ist überzeugt: „Wenn du als Besitzer eines herkömmlichen Unternehmens 100.000 Euro verdienst, kannst du dir entweder einen schicken Tesla kaufen – oder das Geld in Mitarbeitergesundheit, Gehälter und neue Ideen investieren.“

Offiziell gemeinnützig ist das Modell nicht, Soulbottles ist und bleibt vorerst eine gewöhnliche GmbH. Für Kupfer hingegen ist der einzige Unterschied, dass Gemeinnützigkeit vom Staat definiert wird und Firmen wie seine bisher in keine Kategorie passen. „Unternehmen müssen in Zukunft viel mehr dem Gemeinwohl dienen“, postuliert Kupfer. Sein Vorbild ist die „Gemeinwohl-Ökonomie“ von Bestseller-Autor Christian Felber. Der österreichische Hochschullehrer vertritt die Idee einer ethischen Marktwirtschaft, die auf privaten Unternehmen beruht, die nicht in Konkurrenz zueinander nach immer höherem Profit hecheln, sondern untereinander kooperieren – „mit dem Ziel des größtmöglichen Gemeinwohls“.

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Von Bosch bis Zeiss

Unternehmer wie Paul Kupfer wollen ihre Firmen weder Investoren und Aktionären noch ihren eigenen Erben überlassen. Stattdessen binden sie ihre Vermögen langfristig an das Unternehmen selbst – in der Hoffnung, damit auch den tieferen Sinn und Zweck ihrer ursprünglichen Unternehmung auf immer zu bewahren. Dazu gehören Startups wie die Bäume pflanzende Suchmaschine Ecosia, der nachhaltig-vegane Kondomhersteller Einhorn, sowie Shift, ein hessischer Produzent nachhaltiger Smartphones.

Aber auch größere Mittelständler wie der Allgäuer Sensorhersteller Elobau mit seinen 1.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 115 Millionen Euro setzen auf die neue Unternehmensphilosophie. Deutlich kleiner ist der Sauerländer Traditionsbetrieb Sorpetaler Fensterbau, dessen Chef den Laden solange umbaute, bis er sich selbst gehörte: Eduard Appelhans ist der vierte Chef dieses Namens in Folge – aber der erste, der sich keine Gewinne mehr auszahlen lassen kann und den Betrieb weder verkaufen noch vererben kann. Sein Unternehmen zu verkaufen, sagte er der „Zeit“, das sei schließlich so, „als würdest du dein Kind in die Sklaverei verkaufen“.

Übereinandergelegte Hände: Unternehmen mit gebundenem Vermögen

Auch große Unternehmen wie Bosch oder die Carl Zeiss AG arbeiten mit gebundenem Vermögen.

Selbst manch große Namen wie Bosch, Carl Zeiss oder die Handelskette Globus funktionieren – teils schon sehr lange – nach dem Verantwortungsprinzip des gebundenen Vermögens. Bislang müssen alle diese Unternehmen sich jedoch komplizierter Winkelzüge bedienen – meist sind das komplizierte Doppelkonstruktionen, in denen eine Stiftung die Mehrheit der Anteile hält. Damit soll nun Schluss sein, denn in der neuen Bundesregierung hat die Idee des Verantwortungseigentums viele Freunde. So heißt es im Koalitionsvertrag: „Zu einer modernen Unternehmenskultur gehören auch Gesellschaften mit gebundenem Vermögen, (…) für die wir eine neue geeignete Rechtsgrundlage schaffen wollen.“

Gemeinwohl oder Sozialismus?

Doch es gibt nicht nur Befürworter. Der Kölner Bilanz- und Steuerrechtler Joachim Hennrichs beispielsweise hält das Modell für „eine sozialistische und damit keine gute Idee.“ Kritisch hinterfragt er: „Was ist daran verantwortungsvoll, Gewinne einzusperren, statt sie volkswirtschaftlich nützlichen Zwecken zuzuwenden?“ Die angestrebte, neue Rechtsform sichere weder mehr Mitbestimmung, noch Umwelt- und Klimaschutz oder die Achtung der Menschenrechte. Der Experte für Unternehmensrecht sieht eher die Gefahr eines „Greenwashings über die Rechtsform“.

Ganz anderer Meinung ist der Mann, der in Deutschland wie kein anderer für die Idee des Verantwortungseigentums steht. Armin Steuernagel ist Anfang 30 und hat vor zwei Jahren gemeinsam mit 32 Unternehmen die Stiftung Verantwortungseigentum gegründet. Den Aufruf, diese Idee in Recht zu übersetzen, haben bei der Gründungsveranstaltung knapp 500 Unternehmer öffentlich unterschrieben, unter ihnen bekannte Namen wie Alfred Ritter (Ritter Sport), Antje von Dewitz (Vaude) und Götz E. Rehn (Alnatura).

»Über Eigentum hat man in Deutschland sehr lange nicht mehr diskutiert.«

In einem solchen Kontext von Sozialismus zu sprechen, scheint Steuernagel daher abstrus: „Über Eigentum hat man in Deutschland sehr lange nicht mehr diskutiert“, kritisiert Steuernagel, der selbst zwei erfolgreiche Unternehmen gegründet hat: „Sobald man wagt, Eigentum nicht mit Vermögen gleichzusetzen, steht man unter Ideologieverdacht.“ Für ihn geht es letztlich um die Sinnfrage: Warum mache ich das eigentlich als Unternehmer?

Erste Zweifel kamen Steuernagel, nachdem er als 16-jähriger Waldorfschüler seine erste Firma gegründet hatte, einen Versandhandel für Eurythmiebedarf. „Zu dieser Zeit leitete mein Vater eine Klinik, die wirklich glückliche Patienten und Mitarbeiter hatte“, erinnert er sich, „dann wurde sie mehrfach verkauft, zu immer höheren Preisen.“ Am Ende gehörte die Klinik einer französischen Aktiengesellschaft. Trotz guter Profitabilität musste die Hälfte der Ärzteschaft gehen, die Zeit für Patientengespräche wurde limitiert. „Das, was ich an privatem Eigentum liebe, dass die entscheiden, die sich mit der Sache voll identifizieren, war nicht mehr da“, erzählt er.

Ein Brunnen voller Münzen: Gemeinwohlorientierung festschreiben.

"Was ich an privatem Eigentum liebe: dass die entscheiden, die sich mit der Sache voll identifizieren." – Armin Steuernagel

Deshalb soll in einer Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (GmgV) das Unternehmenskapital wie bei einer Stiftung an die Gesellschaft gebunden sein. Und zwar für immer, es gehört dann keiner natürlichen Person mehr. Die Idee ähnelt der, die schon Robert Bosch in seinem 1937 verfassten Testament skizzierte. So sollen GmgV vor rein profitorientierten Investoren geschützt sein. Selbst leibliche Nachkommen erben kein Vermögen mehr, sondern nur noch Stimm- und Teilhaberechte.

Die Erben können jedoch auch diese Rechte verlieren, wenn eine Mehrheit der Gesellschafter sie nicht als passenden Teil der „Fähigkeiten- und Wertefamilie“ einstuft. Auf eine genetische Eignung zur Nachfolge ist schließlich kein Verlass – ein Gedanke, der seinerzeit schon Robert Bosch umtrieb, dessen einstiges Unternehmen heute ein Weltkonzern mit mehr als 400.000 Mitarbeitern ist, der zu 94 Prozent der Robert Bosch Stiftung gehört.

Ein grünes Deckmäntelchen?

Beim großen Vorbild Bosch fließen bis heute alle Unternehmensgewinne an die gemeinnützige Robert Bosch Stiftung oder verbleiben in der GmbH. Die Gemeinwohlorientierung ist also festgeschrieben. Bei der nun geplanten Gesellschaft mit gebundenem Vermögen hingegen soll der Unternehmenszweck frei wählbar bleiben – neue GmgV müssten also tatsächlich keinesfalls gemeinnützig sein, auch wenn die Hoffnung auf ein faireres Wirtschaften immer mitschwingt. Hat der Kritiker Joachim Hennrichs am Ende also doch recht, wenn er befürchtet, Verantwortungseigentum könnte zu einer Art grünem Deckmäntelchen werden?

»Ich möchte einfach sichergehen, dass meine Unternehmen in dem Sinne weitergeführt werden, in dem wir sie gegründet haben.«

Soulbottles-Gründer Paul Kupfer hält diese Sorge für übertrieben: „Wenn du nur das Ziel hast, gut rüberzukommen, kannst du es auch billiger haben“, glaubt er: „Da würde eine gut umgesetzte Greenwashing-Kampagne am Ende viel weniger kosten – mit dem gleichen Effekt.“ Den Schritt hingegen, sich als Unternehmer selbst zugunsten des Unternehmens zu enteignen, „den machst du nur, wenn du wirklich dran glaubst, und nicht, weil du den Marketingeffekt mitnehmen möchtest.“

Kupfer glaubt an die Idee, er brennt für sie. „Man muss langfristig denken“, sagt der junge Gründer. Noch hat er zwar keine Kinder, aber er schaut in die Zukunft: „Auf meine Kinder habe ich vielleicht noch Einfluss. Aber wer die Firma ein paar Generationen weiter erben wird, ob die noch meine Werte teilen oder vielleicht nur am schnellen Geld interessiert sind, das ist dann außerhalb meiner Kontrolle.“ Für einen wie ihn mit einer sozialen und ökologischen Mission sei das keine Option: „Ich möchte einfach sichergehen, dass meine Unternehmen in dem Sinne weitergeführt werden, in dem wir sie auch gegründet haben – und dass die Belegschaft weiter daran teilhat.“

TEXT: Hilmar Poganatz
FOTOS: onemorenametoremember/ Photocase, Soulbottles, Valeriya Simantovskaya/ Stocksy, Zoran Milich / Stocksy