Die Verantwortung der Superreichen
Rund 3100 Superreiche gibt es in Deutschland. Jeder von ihnen verfügt über ein Vermögen von mindestens 100 Millionen Dollar – mehr Geld, als man zu Lebzeiten ausgeben kann. Was macht man mit so viel Geld?
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„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“, heißt es in Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Unternehmer Michael Otto, Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group, nimmt das ernst. „Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder von uns im Rahmen seiner Möglichkeiten einen Beitrag zur Gesellschaft leisten sollte. Nur dann ist sie vital und lebensfähig“, betont der mehrfache Milliardär.
Anfang der 1980er Jahre übernahm Otto den Versandhandel seines Vaters und baute ihn zu einem globalen Handelskonzern aus, vom Otto-Katalog zum Online-Handel. Daneben war der Unternehmer immer auch gesellschaftlich aktiv. Aus Dankbarkeit, „dass die Gesellschaft einem die Möglichkeit zu einer erfolgreichen Entwicklung gegeben hat“, wie er in einem Interview sagte. 1993 gründete er die Michael Otto Stiftung für Umweltschutz, heute Umweltstiftung Michael Otto. 2005 kam seine Stiftung Aid by Trade hinzu, die sich für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen afrikanischer Kleinbauern einsetzt. Michael Otto ist außerdem Initiator und Präsident der Stiftung KlimaWirtschaft sowie Mitbegründer und Ehren-Counselor des World Future Council. Für sein Engagement wurde Otto mehrfach geehrt.
„Besteuern Sie uns“
Michael Otto ist nicht der einzige Superreiche, der mit einem großen Vermögen eine gesellschaftliche Verantwortung verbindet. Prominente Beispiele sind etwa Bill und Melinda Gates, Apple-Chef Tim Cook, der Nike-Vorsitzende Philip Knight oder der ehemalige Chef des österreichischen Bauunternehmens Strabag, Hans Peter Haselsteiner, der für einen Spitzensteuersatz von 80 Prozent plädiert.
"Wir können uns eine faire Besteuerung leisten."
Diese Forderung nach höheren Steuern wird inzwischen auch von vielen jüngeren Vermögenden erhoben. Rund 50 Millionäre und Millionärinnen haben sich in der Initiative Taxmenow („Besteuere mich jetzt“) zusammengetan und fordern eine höhere Besteuerung von Millionen- und Milliardenvermögen. Eine der Mitgründerinnen ist die BASF-Erbin Marlene Engelhorn, die 90 Prozent ihres Vermögens abgeben will.
In der Pandemie formulierte die Initiative eine Petition: „Corona verstärkt Ungleichheit, verschärft Gesundheitsrisiken, reduziert Bildungschancen für Arme, während manche Vermögende und Unternehmen zu den Krisengewinnern gehören und in der Krise noch reicher geworden sind.“ Daher seien höhere Steuern nötig. Denn gemeinnütziges Engagement reiche nicht, die Gesellschaft dürfe nicht auf das Wohlwollen der Vermögenden angewiesen sein. „Wir können uns eine faire Besteuerung leisten, wir wollen einen gerechten Beitrag erbringen“, so die Taxmenow-Millionärinnen und -Millionäre.
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Die Taxmenow-Initiative ist Mitglied des internationalen Netzwerkes Millionaires for Humanity, zu dem beispielsweise auch die Disney-Erbin Abigail Disney, der britische Filmemacher Richard Curtis oder der ehemalige Blackrock-Manager Morris Pearl gehören. Ihre Forderung klingt bescheiden: eine Vermögenssteuer von 1 Prozent. Doch erhoben auf die enormen Vermögen würde damit eine beträchtliche Summe in die Staatshaushalte fließen.
In einem offenen Brief bezeichnen die „Millionäre für Menschlichkeit“ ein faires Steuersystem als Fundament der Demokratie: „Wir können sicherstellen, dass wir unser Gesundheitssystem, unsere Schulen und unsere Sicherheit angemessen finanzieren, indem wir die Steuern für die reichsten Menschen auf dem Planeten, Menschen wie uns, dauerhaft erhöhen.“
Das reichste Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzt 35 Prozent des gesamten Vermögens.
Wer ist arm, wer ist reich?
Das große Gefälle zwischen Armut und Reichtum spiegelt sich auch in den Informationen, die dazu jeweils vorliegen. Wir wissen viel über Armut: Laut Statistischem Bundesamt waren 2021 rund 13 Millionen Menschen in Deutschland armutsgefährdet, hatten also als alleinlebende Person weniger als 1.251 Euro im Monat. Über die Oberschicht dagegen wissen wir sehr viel weniger, die Reichen üben sich gerne in Diskretion.
Auch die internationale „Forbes“-Liste der reichsten Menschen der Welt oder die Liste der reichsten Deutschen des „Manager Magazins“ basieren lediglich auf Schätzungen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) wollte es genauer wissen und kam in seiner Studie „MillionärInnen unter dem Mikroskop“ zu dem Ergebnis: Das reichste Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzt 35 Prozent des Gesamtvermögens. Die oberen zehn Prozent verfügen über rund zwei Drittel. Das Vermögen ist also nicht nur weltweit, sondern auch innerhalb der deutschen Gesellschaft extrem ungleich verteilt.
Ein 800facher CO2-Ausstoß
Entsprechend ungleich ist auch der Energiebedarf. Die reichsten zehn Prozent der deutschen Haushalte verbrauchen ungefähr die gleiche Menge Energie wie die ärmsten 40 Prozent, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ die Forschungsergebnisse des Ökonomen Yannick Oswald. Dabei könnten sie, anders als Geringverdienende, große Mengen Energie sparen, ohne dass es sie in Bedrängnis bringt. Laut Oswald könnte der gesamte Energiebedarf aller deutschen Haushalte um 41 Prozent sinken, wenn alle so wenig verbrauchen würden, wie es die ärmeren 50 Prozent – also die Hälfte der Bevölkerung – ohnehin schon tun.
Wer 50 Millionen Euro besitzt, hat mit einem Milliardär wenig gemein.
Luxusvillen, Privatjets, Helikopter und Superyachten sorgen nicht nur für einen hohen Energiebedarf, sie erzeugen auch erhebliche CO2-Emissionen. In einer Studie wurden durchschnittliche Pro-Kopf-Emissionen einer Milliardärin bzw. eines Milliardärs von über 8.000 Tonnen CO2 jährlich errechnet. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Pro-Kopf-Ausstoß in Deutschland liegt bei etwas über 11 Tonnen CO2. „Die maßgebliche Rolle extremer sozialer Ungleichheit und insbesondere die enorme Verantwortung der Superreichen für die Klimakrise werden in der Politik kaum berücksichtigt. Das muss sich ändern“, fordert Manuel Schmitt, Referent für Soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland.
Diskussion ohne Moralkeule
Der Soziologe und Vermögensforscher Thomas Druyen hält allerdings nichts davon, die Moralkeule zu schwingen. Er plädiert für mehr Objektivität in der Diskussion über Reichtum. „Was wir brauchen, sind verlässliche Zahlen. Wir bräuchten eine gesetzliche Pflicht zur lückenlosen Transparenz. Dann gäbe es eine verlässliche Öko- und Humanbilanz.“
Die Bereitschaft, sich an der Finanzierung des Gemeinwohls zu beteiligen, ließe sich bei vielen Vermögenden schon dadurch wecken, dass man sie nicht über einen Kamm schere. Reich sei eben nicht gleich superreich: „Wer 50 Millionen Euro besitzt, fühlt sich mit einem Milliardär nicht gemein.“ Zudem unterscheiden sich Superreiche erheblich darin, was sie mit ihrem Geld machen. Deswegen sollte man genauer hinsehen, welche Gegenwerte jemand mit seinem Vermögen schafft, meint Druyen. Wer ins Gemeinwohl investiere oder gute Arbeitsplätze schaffe, bei dem könnten auch höhere CO2-Emissionen geduldet und Steuern erlassen werden.
Zugleich erkennt Druyen ein Umdenken: „In der neuen Generation der Milliardäre und Multimillionäre tut sich etwas. Die wollen zum Beispiel ihr Vermögen grüner, globaler und nachhaltiger anlegen.“ Gerade die Jungen seien sich ihrer Verantwortung und ihrer Privilegien bewusst. Das Bewusstsein wachse analog zur Eskalation der Krisen.
TEXT: Kristina Simons
FOTOS: Luke Schobert / Unsplash, Lena Zajchikova / iStock, Neal Joup / Photocase, Enrico Assirelli / Pexels