No. 32 – LIEBE

Wissenswertes

Enkelkinder und Großeltern: Im Fluss der Generationen

Die Liebe zwischen Großeltern und Enkeln ist eine besondere. Sie hat mehr Zeit denn je und kann intensiver gelebt werden. Doch das Zusammenspiel von drei Generationen führt auch zu Konflikten.

Lesedauer ca. 5 Minuten

Großeltern können ihren Enkeln viel mitgeben.

Gehören Sie zu den Menschen, die mit viel Liebe an die Großmutter und den Großvater zurückdenken? Damit sind Sie nicht allein. Denn zweifellos prägen uns diese engen Beziehungen zwischen den Generationen, die wir in der Kindheit erlebt haben.

Dabei sind die Großeltern heute in vieler Hinsicht anders als damals. Das Bild, das viele noch von Oma und Opa im Kopf haben, trifft inzwischen eher auf die Urgroßeltern zu – von denen es übrigens immer mehr gibt. Wer derzeit Enkel bekommt, ist meist noch ziemlich fit und hat statistisch gute Chancen, das auch eine ganze Weile noch zu bleiben. Großeltern haben heutzutage nicht nur mehr gemeinsame Jahre mit ihren Enkeln, sondern können diese häufig auch aktiver nutzen.

»Dank steigender Lebenserwartung verbringen Großeltern hierzulande rund 30 Jahre mit ihren Enkeln.«

Lange und enge Bindung

„Dank steigender Lebenserwartung verbringen Großeltern hierzulande rund 30 Jahre mit ihren Enkeln“, sagt Alexandra Langmeyer-Tornier, die beim Deutschen Jugendinstitut die Fachgruppe „Lebenslagen und Lebenswelten von Kindern“ leitet. Laut einer Studie, an der die Sozialwissenschaftlerin beteiligt war, haben rund drei Viertel der Großeltern mindestens einmal in der Woche Kontakt zu ihren Enkelkindern.

Ab 16 Jahren wird dieser Kontakt seltener, doch immerhin 40 Prozent der Großeltern sprechen oder sehen ihre jugendlichen oder erwachsenen Enkelkinder wöchentlich. Wie häufig Großeltern und Enkel zusammenkommen, hängt vor allem von der Entfernung zwischen den Wohnorten ab. Familien leben heute seltener an einem Ort als früher, viele versuchen die Entfernung beispielsweise durch Videoanrufe auszugleichen.

Langmeyer-Tornier beobachtet, dass Großeltern heute sehr viel mit den Kleinen unternehmen, von Museumsbesuchen und Konzerten über sportliche Aktivitäten bis hin zu Reisen. Das kommt beiden Seiten zugute. Aktive Großeltern haben den Umfragen zufolge häufiger auch eine gute Beziehung zu ihren Enkelkindern.

Großeltern und Enkelkinder können voneinander lernen.

Großeltern: wichtig für die Entwicklung

Klar ist: Kindern tut der regelmäßige Kontakt zu Oma und Opa gut. Denn die Großeltern sind zwar vertraut, doch zugleich ein bisschen anders als die Eltern. Für kleinere Kinder bilden sie „eine Brücke vom Elternhaus in die Welt“, wie Langmeyer-Tornier sagt. Für Schulkinder und Jugendliche seien Großeltern dagegen wichtig, weil sie – anders als die Eltern – außerhalb von Schul- und Berufsstress stehen. Ihre Beziehung zu den Enkelkindern sei frei vom üblichen Leistungsdruck und daher für Jugendliche umso wertvoller.

Doch auch die Seniorinnen und Senioren profitieren. Denn der regelmäßige Kontakt mit der Jugend bietet immer wieder Gelegenheiten, Neues kennenzulernen und sich mit neuen Gegebenheiten zu arrangieren – und das hält fit.

»In vielen Familien, in denen beide Eltern arbeiten, würde ohne die Betreuungshilfe durch die Großeltern alles zusammenbrechen.«

Etwas weitergeben, Spuren hinterlassen

Was gibt es besseres als das schöne Gefühl, gebraucht zu werden? In der Psychologie spricht man von Generativität. „Das bedeutet, sich um die nachfolgenden Generationen zu bemühen und etwas weiterzugeben, das über den eigenen Tod hinaus Spuren hinterlässt“, erklärt Langmeyer-Tornier. Gerade Menschen im Ruhestand erleben es als Bereicherung, sich einzubringen und etwas Sinnvolles zu tun.

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Diese Hilfe wird auch dringend gebraucht: In vielen Familien, in denen beide Eltern arbeiten, würde ohne die Betreuungshilfe durch die Großeltern alles zusammenbrechen. Oma und Opa kümmern sich da, wo es keine Kitaplätze gibt, sie holen die Kinder vom Kindergarten oder von der Schule ab und bleiben nachmittags bei ihnen. Andere springen zumindest in Notfällen ein: weil ein Kind krank wird, die Kita früher zumacht, die Eltern länger arbeiten müssen und natürlich in den Schulferien. Das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) schätzt, dass Großeltern im Corona-Winter 2020/21 bundesweit 1,75 bis 1,95 Milliarden Stunden Kinderbetreuung leisteten. Würde man sie nach Mindestlohn bezahlen, käme man auf 16 bis 18 Milliarden Euro – oder 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts 2020.

Vor allem kleinere Kinder verbringen viel Zeit mit den Großeltern.

Grenzen setzen

Doch wie viel Kinderbetreuung können und wollen Großeltern eigentlich leisten? Manche sind selbst noch berufstätig und haben wenig Zeit. Andere sind bereits in Rente, aber fühlen sich mit der Kinderbetreuung, die von ihnen erwartet wird, überfordert. Die Wiener Psychologin Gundi Mayer-Rönne empfiehlt Großeltern in solchen Fällen, Grenzen zu setzen: „Als Oma oder Opa ist es gut, sich bewusst zu machen, welche Aufgaben, wie viel Zeit und wie viel Verantwortung man übernehmen möchte – und dies klar zu benennen.“ Denn Großeltern stehen bei der Betreuung der Enkel nicht automatisch in der Pflicht und dürfen auch mal Nein sagen. Wichtig ist, offen mit den Eltern der Kinder darüber zu sprechen und darauf hinzuweisen, dass es auch andere legitime Interessen gibt, denen Oma und Opa nachgehen möchten.

Die gute Nachricht: Wenn Großeltern sich heutzutage um den Nachwuchs kümmern, läuft das weitgehend harmonisch ab. Der Streit über den richtigen Umgang mit dem Nachwuchs bleibt zwar nicht aus – und sei es um Kleinigkeiten wie die richtige Ernährung oder Schlafgewohnheiten „Doch insgesamt sind Eltern heutzutage zufriedener mit dem eigenen Aufwachsen“, sagt Langmeyer-Tornier. „Das macht es leichter, mit den eigenen Eltern bei der Erziehung der Kinder zusammenzuarbeiten.“

»Eltern sind heutzutage zufriedener mit dem eigenen Aufwachsen. Das macht die Zusammenarbeit mit den Großeltern leichter.«

Die Enkelkinder verlieren

Zu einer größeren Krise mit den Großeltern kann es allerdings kommen, wenn sich die Eltern der Kinder trennen. „Das ist eine enorme Stresssituation für alle Familienmitglieder – nicht nur für das Elternpaar, sondern auch für die Kinder und die Großeltern“, betont Annemie Wittgen von der Bundesinitiative Großeltern (BIGE). Im schlimmsten Fall führen die Konflikte dazu, dass Großeltern ihre Enkel verlieren. „40.000 bis 50.000 Kinder jährlich sehen nach der Trennung einen Elternteil nicht mehr“, sagt Wittgen. „Davon sind dann auch die Großeltern betroffen.“ In anderen Fällen wollen Eltern den Kontakt ihrer Kinder mit den Großeltern einschränken oder ganz unterbinden.

Für Betroffene bietet die BIGE seit über zehn Jahren eine Anlaufstelle. Sie organisiert Selbsthilfegruppen, in denen sich Großeltern, die keinen Kontakt mehr zu ihren Enkeln haben, austauschen und informieren können. „Zuerst wird geschimpft und geweint, im zweiten Schritt kommt die Frage ‚Was kann ich tun?‘“, berichtet Wittgen. Auch in rechtlichen Fragen berät die Initiative. „Wir versuchen zunächst, eine gütliche Einigung zu erzielen, etwa mithilfe einer Mediation.“ Wenn das nicht hilft, werden die Betroffenen auch bei gerichtlichen Auseinandersetzungen unterstützt.

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Das Band zwischen den Generationen

Bei allem, was Großeltern tun und leisten, sollten sie wissen, dass es dafür keinen Ausgleich gibt, betont Psychologin Mayer-Rönne. All die Zeit und die Energie der Älteren seien Geschenke an die nächste Generation: Wer für seine Enkel da ist, werde zu einer Ressource, die sie fürs ganze Leben stärke. „Denn was wir schenken und geben, kann unser Enkelkind später in seinem Leben weitergeben. Wir befinden uns im Fluss der Generationen“, so Mayer-Rönne. Der einzige „Lohn“, auf den Großeltern sofort und ohne Umwege hoffen können: eine liebevolle Beziehung.

TEXT: Lars Klaaßen
FOTOS: Ekaterina Shakharova / Unsplash, Ashley Wiley / iStock, Sylvie PM / iStock

Die 10 goldenen Regeln der Kommunikation

Basis für das Gelingen der Beziehungen in einer Familie sind laut Gundi Mayer-Rönne:

  1. Gib niemals Ratschläge – Lösungsangebote sind nur dann angebracht, wenn du ausdrücklich darum gebeten wirst.
  2. Sei dir bewusst, welches Ziel du mit deinen Handlungen und deinen Worten verfolgst.
  3. Wenn du dich beim Abwerten ertappst (gleichgültig, um welches Familienmitglied es sich handelt), sei dir bewusst, dass du die Motive dieser Person noch nicht verstanden hast. Liebevolles Nachfragen (statt negativer Unterstellungen) hilft!
  4. Die Eltern haben alle Fähigkeiten, ihre Probleme zu lösen. Du kannst sie dabei unterstützen, mehr nicht.
  5. Es gibt kein Paradies auf Erden, die Lösung eines Problems erzeugt neue Herausforderungen.
  6. Sei demütig. Du kannst von jedem Menschen und jeder Situation lernen.
  7. Genieße die schönen Momente, auch sie gehen vorbei.
  8. Erkenne deine Grenzen und sorge gut für dich, auch wenn Eltern und Enkelkinder enttäuscht sind.
  9. Nimm die Gefühle aller Beteiligten ernst, auch deine eigenen. Hinter Wut, Ärger, Eifersucht, Schmerz oder Angst stecken tiefe Bedürfnisse, die es zu benennen gilt. Erst dann finden wir angemessene Lösungen.
  10. Wenn du merkst, dass du einen Vorwurf formulierst, mache daraus eine Bitte. Aber Achtung, bitte immer um etwas Konkretes. Es macht einen großen Unterschied, ob ich jemanden bitte, „nicht immer nur so herumzuliegen“, oder sage, „bitte geh für mich einkaufen“.