No. 26 – ZEIT

Menschen

Birgit Schrowange: "Ich muss nicht mehr überall dabei sein."

25 Jahre lang moderierte Birgit Schrowange die RTL-Sendung „Extra“. Nach vielen Jahren mit vollem Terminkalender, genießt sie es nun, die Dinge zu tun, die sie erfüllen. Traurig findet die 65-Jährige nur, dass die Zeit, die noch bleibt, immer kürzer wird.

Lesedauer ca. 7 Minuten

Birgit Schrowange genießt die Zeit, die noch bleibt.

Birgit Schrowange wuchs in einem Dorf im Sauerland auf. Ihre Fernsehkarriere begann 1983 als Programmansagerin beim ZDF, bekannt wurde sie vor allem als Moderatorin der RTL-Sendungen „Extra“ und „Life“. Schrowange sorgte 2017 für Aufsehen, als sie sich selbstbewusst mit ihren natürlichen grauen Haaren präsentierte und ein Zeichen gegen den Jugendwahn setzte. In ihrem autobiographischen Ratgeberbuch „Birgit ungeschminkt“ plädiert sie für ein Älterwerden in Gelassenheit. Ein Gespräch über erfüllte Zeit und neue Prioritäten.

Wie durchgetaktet war ihr Alltag als Moderatorin von „Extra“?

Birgit Schrowange: Eine Woche konnte bei mir komplett unterschiedlich aussehen, manchmal sehr, sehr arbeitsintensiv, manchmal gab es ein bisschen Freizeit dazwischen. Am Montag hatte ich immer meine Sendung „Extra“. Ich habe an den Redaktionssitzungen teilgenommen und war als Reporterin für Beiträge unterwegs. Dann habe ich meine Werbepartner bedient und Veranstaltungen moderiert. Ich habe manchmal die Menschen beneidet, die um neun Uhr in einem Büro gegangen sind und um 18 Uhr Feierabend hatten. Das war bei mir nie so. Ich wusste nie, wie sich meine Woche entwickelt. Aber das war natürlich auch sehr spannend.

Sie haben ja währenddessen auch ein Kind großgezogen.

In den 90er-Jahren hatte ich drei Sendungen, und dann war ich auch sehr oft mit dem Flieger unterwegs. Für „Life“ haben wir viel im Ausland gedreht, in Amerika, in Afrika, Lappland. Wenn ich morgens aufgewacht bin, wusste ich manchmal gar nicht, wo ich bin und wie spät es ist. Also, ich habe schon sehr arbeitsintensive Zeiten gehabt. Als mein Sohn geboren wurde, habe ich das reduziert. Schließlich musste das Kind zur Schule, zum Sport, zum Musikunterricht, das habe ich ja auch alles koordiniert.

Eines der bekanntesten Gesichter im deutschen Fernsehen: Birgit Schrowange

Immer Montags...
"Extra" (1996)

Birgit Schrowange mit RTL-Kolleginnen

Mit Kolleginnen 2014 beim 30. Jubiläum von RTL

Hatten Sie damals bestimmte Tricks, ihre Zeit zu managen?

Eigentlich nicht. Ich habe das immer alles so erledigt, wie es kam. Wenn ich so viel im Terminkalender hatte, habe ich immer versucht, mich zu beruhigen. Ich habe Musik gehört, um runterzukommen, oder schöne Dinge gelesen. Ich habe aber immer ein bisschen unter Schlafstörungen gelitten. Vor allem wenn ich dachte, ich muss jetzt schlafen, weil ich in fünf Stunden wieder losmuss. Dann hatte ich manchmal schlaflose Nächte.

Was würde die heutige Birgit Schrowange ihrem damaligen, jüngeren Ich in solchen stressigen Momenten raten?

Ach, ich würde ihr auf Kölsch sagen, et kütt wie et kütt und hätt noch immer jot jejange, Mädchen. Mach dich mal nicht so verrückt, wird schon alles klappen! Es hat ja auch alles immer geklappt. Das ist vielleicht typisch für unsere Generation. Ich bin in den Sechzigerjahren im Sauerland großgeworden und wir sind ziemlich streng erzogen worden. Unsere Generation will immer alles perfekt machen, viel arbeiten und schaffe, schaffe, Häusle bauen. Da ist die neue Generation anders drauf, von denen kann man sich ein bisschen was abgucken.

»Et kütt wie et kütt und hätt noch immer jot jejange, Mädchen. Mach dich mal nicht so verrückt!«

Aber wären sie so erfolgreich gewesen, wenn sie nicht so fleißig und zielstrebig gewesen wären?

Nein, mit Sicherheit nicht. Ich komme nicht aus einem Elternhaus, wo mein Weg vorgegeben gewesen wäre. Mein Vater war Handwerker, meine Mutter Hausfrau. Ich musste mir tatsächlich alles selbst erarbeiten. Ich wusste, wenn ich etwas im Leben erreichen möchte, dann muss ich den Hintern hochkriegen, sonst wird das nichts. Wenn ich jetzt meinen Sohn oder meine Stieftöchter anschaue, die natürlich im Wohlstand groß geworden sind, die schon alle möglichen Reisen gemacht haben, die sind natürlich nicht so hungrig wie ich damals war.

Was würden sie sagen, wofür sollte auch ein sehr beschäftigter Mensch immer Zeit haben?

Ich habe in meinem Freundeskreis einen sehr netten Mann, der sich aufreibt zwischen Arbeit und Familie. Ich sage immer, du musst dir Zeit für dich nehmen, eine Stunde am Tag. Beispielsweise Sport machen, aber ohne Leistungsdruck, Spazierengehen, Musik hören oder meditieren, Yoga machen, ein schönes Buch lesen, raus in die Natur. Man sollte eine Stunde am Tag für sich haben, in der keiner stören darf. Das finde ich sehr, sehr wichtig.

Birgit Schrowange mit 80ziger-Jahre-Frisur
Fleißig und zielstrebig: die junge Birgit Schrowange

"Ich wusste, wenn ich etwas im Leben erreichen möchte, dann muss ich den Hintern hochkriegen."

Sind die besten Momente nicht eigentlich die, in denen man Zeit vergisst?

Das ist das Allerschönste, wenn man mit tollen Menschen zusammen ist und tiefgehende Gespräche führt. Auf einmal guckt man auf die Uhr und sieht, man sitzt schon fünf Stunden zusammen und die Zeit ist wie im Flug vergangen. Oder wenn man ein Buch liest, das einen total in Atem hält, dann vergisst man die Zeit.

Sie moderieren jetzt nur noch gelegentlich. Ist Ihnen die Umstellung schwergefallen?

Ich habe lange überlegt, ob ich aufhören soll, ob es der richtige Zeitpunkt ist. Man muss im Leben lernen loszulassen. Man lässt die Jugend los, man lässt seine Kinder los, irgendwann auch die eigenen Eltern und so weiter. Das Kameralicht ist natürlich verführerisch, das kann auch ein wenig süchtig machen. Ich wollte aber niemals so enden, dass man mich quasi vor der Kamera wegziehen muss. Ich wollte das selbst bestimmen. Nach meinem 25-jährigen RTL-Jubiläum war es für mich der richtige Zeitpunkt und ich habe es nicht bereut. Also, ich war gerade wieder bei RTL und habe da was gedreht. Wenn dann die Kollegen alle vorbeikommen und ich gehe da durchs Haus, dann habe ich schon ein bisschen Wehmut. Aber dann sagt eine zweite Stimme, nein, ist alles gut so, das wäre ja nur ein Aufschieben.

2016 haben Sie ihren neuen Partner, Frank Spothelfer, kennengelernt. Im Sommer haben Sie mit 65 Jahren zum ersten Mal geheiratet.

Das war natürlich ein großes Glück. Wir passen gut zusammen und mein Mann will nun auch ein bisschen kürzertreten, um die verbleibende Zeit, die wir noch haben, zusammen zu genießen. Wir wollen reisen, uns Dinge angucken, Freundschaften pflegen und Zeit haben. Das sind all die Dinge, die wir in unseren intensiven Berufsleben nicht hatten. Es ist ja nicht mehr viel Zeit. Ich sage immer im Spaß, ich werde 100 Jahre alt. Wenn man sich das auf einem Zentimetermaß anschaut, dann bleiben nur noch 35 Zentimeter. Das ist nicht viel.

Birgit Schrowange moderierte

Rumblödeln mit Atze Schröder

Birgit Schrowange singt

Auftritt als Sängerin 2012 mit Simone Thomalla und Andrea Berg

Wie fühlt es sich an, plötzlich so viel Zeit zu haben?

Komischerweise empfinde ich das gar nicht so. Man hat 1000 Sachen zu tun. Wir haben die Kinder und unsere Eltern leben noch, wir sind immer mit irgendetwas beschäftigt. Ich empfinde es als sehr angenehm, dass man den Tag so ruhig angehen kann. Also länger schlafen, im Bett gemütlich Kaffee trinken und Zeitung lesen, das genieße ich. Ich genieße es, dass ich nicht mehr so gehetzt bin. Und ich genieße es, dass ich die Sachen machen darf, die mich erfüllen, die mir Spaß machen. Da bin ich natürlich auch sehr privilegiert. Ich kriege schon noch viele Angebote und ich kann sehr gut nein sagen. Ich muss nicht mehr auf jeder Hochzeit tanzen, ich muss nicht mehr überall dabei sein. Es gibt dafür ja ein neues Wort, FOMO, fear of missing out, also die Angst etwas zu verpassen. Das habe ich gar nicht mehr.

In Ihrem Buch „Birgit ungeschminkt“ schreiben Sie, dass es Ihnen als junge Frau viel Spaß gemacht, auf dem roten Teppich zu stehen. Das ist vorbei?

Man setzt andere Prioritäten. Ich bin heute lieber mit lieben Menschen in einem Restaurant und habe einen schönen Abend, wo man lacht, isst und diskutiert, als auf dem roten Teppich auf einer Veranstaltung zu sein. Natürlich mache ich sowas hin und wieder noch, aber ich suche das sehr speziell aus. Ich habe das alles im Überfluss gehabt, 40 Jahre lang. Letztendlich ist es auch immer dasselbe.

»Ich genieße es, dass ich nicht mehr so gehetzt bin. Und dass ich die Sachen machen darf, die mich erfüllen.«

Verändert sich unser Blick auf Zeit, wenn wir älter werden?

Ja, die Zeit vergeht schneller. Ich habe gerade erst meinen 65. Geburtstag gefeiert. Mein Mann hatte eine Überraschungsparty für mich organisiert. Das war ein sehr schönes Fest. Jetzt denke ich mir, ach, du liebe Güte, wir haben schon bald Weihnachten, und dann habe ich ja bald schon wieder Geburtstag. Ich kann das gar nicht glauben, wie schnell die Zeit verrinnt. Es macht mich traurig, dass alles so schnell vorbeigeht. Wie viele Weihnachten erlebe ich wohl noch, und wie viele Sommer? Bei dem Gedanken wird mir schon ein bisschen anders.

Kann man Zeit eigentlich auch verschenken?

Auf jeden Fall! Ich verschenke sehr, sehr gerne Zeit. Ich habe mal zwei Freundinnen, die beide kurz nacheinander 50 wurden, ein Wochenende in Istanbul geschenkt. Das war wunderschön! Was Besseres kann man doch gar nicht machen, als Zeit zu verschenken!

Birgit Schrowange reitet aus mit Franziska van Almsick

Ich kann das gar nicht glauben, wie schnell die Zeit verrinnt. Es macht mich traurig, dass alles so schnell vorbeigeht.

Sie nehmen sich auch viel Zeit für Ihr soziales Engagement. Für Ihren Einsatz gegen Kinderarmut sind Sie sogar mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland geehrt worden.

Damit habe ich schon begonnen, als mein Sohn geboren wurde. Jetzt gerade habe ich wieder einen Film für RTL mit den Kindern in unserem Kinderhaus gedreht. Ich bin auch regelmäßig im Kinderhospiz in Olpe, moderiere Veranstaltungen oder sammle Geld. Weil wir öfter auf Mallorca sind, habe ich jetzt hier ein neues Betätigungsfeld, bei der Herztat-Stiftung, die sich um einsame alte Senioren auf der Insel kümmert. Da bin ich das Gesicht. Bei den Sitzungen lerne ich die Telefonpaten und andere Paten kennen, die die alten Menschen zu Hause oder im Altersheim besuchen. Sowas macht mir große Freude. Ich finde, man muss auch etwas zurückgeben.

»Man muss offen bleiben für Neues. Dieses „Früher war alles besser“, das finde ich furchtbar. «

Wofür sollte man sich noch Zeit nehmen?

Unbedingt für die eigene Gesundheit! Man selbst kann sehr viel dafür tun, dass man gesund bleibt. Ich kenne Senioren, die lassen sich hängen, weil sie meinen, das bringt ja sowieso nichts mehr, ich bin jetzt alt. Und dann gibt es andere, bei denen blitzen die Augen, die sind neugierig. Ich habe zum Beispiel bei Dreharbeiten die älteste Pilotin von Bayern kennengelernt. Ingrid ist 83 und fliegt noch. Die ruft mich an und sagt, „Birgit, ich bin gerade über den Wilden Kaiser geflogen!“ Sie ist für mich das absolute Vorbild. Diese Frau macht einfach Mut.

Wie schafft man es, sich diese Energie und Neugier zu bewahren?

Man muss offen bleiben für Neues. Dieses „Früher war alles besser“, das finde ich furchtbar. Ich diskutiere mit meinem Sohn, auch über Politik, das hält mich jung. Ich lerne viel von ihm, auch über Technik und Künstliche Intelligenz. Man sollte sich dem gegenüber nicht verschließen. Ich kenne Frauen in meinem Alter, die können gerade mal eine SMS schreiben. Das gibt es wirklich! Ich finde, man muss an allem interessiert bleiben, was neu auf uns zukommt.

GESPRÄCH: Wibke Bergemann
FOTOS: privat, picture alliance / dpa | Henning Kaiser, picture alliance / BREUEL-BILD | BREUEL-BILD/ABB

Kleine Geschichte der Zeitmessung – Teil 1

Vor rund 5000 Jahren bestimmte der Jahres-Kreislauf der Natur das Zeitgefühl der Sumerer. Die Überschwemmungen an Euphrat und Tigris im Frühjahr, die Erntezeit in April und Mai, ein trockener Sommer und dann die Regenzeit im Herbst. Alle 365 Tage wiederholte sich das.
Zudem zählten die Sumerer die 29 bis 30 Tage zwischen den Neumonden und fassten sie zu einem Monat zusammen. Um den Unterschied zwischen dem landwirtschaftlichen und dem Mondkalender auszugleichen, kannten die Sumerer bereits einen Schaltmonat.