Editorial
„Warum kann ich eigentlich so schwer loslassen?“, das habe ich mich schon oft gefragt. Alleine der Klang des Wortes löst einen inneren Widerstand aus, alles in mir sträubt sich dagegen. Denn gelernt habe ich: festzuhalten. Lieb gewonnene Dinge, vertraute Menschen, einen großen Traum, das Lebenswerk. Bedeutet Loslassen nicht, aufzugeben? Verliere ich also nicht etwas, wenn ich loslasse?
Umgekehrt weiß ich aber auch, wie befreiend und erfüllend das Loslassen sein kann: Wenn die Kinder wirklich selbstständig sind und ihre eigenen Wege gehen. Wenn der Keller fast leer ist, weil ich ihn endlich entrümpelt habe. Wenn ich mich – wenn auch schweren Herzens – von einem wichtigen Menschen getrennt habe, weil die Beziehung keine Zukunft hatte.
Am schwierigsten ist es wohl, sich selbst loszulassen. Umso mehr tröstete mich ein Gedanke aus unserem Magazinbeitrag „Keine Angst. Wir alle sterben sowieso“: Wer am Ende seines Lebens nichts – oder zumindest wenig – bedauern müsse, tue sich leichter damit, dem Abschied gelassen entgegenzusehen. „So leben, wie es einem gefällt. Weniger arbeiten. Gefühle zum Ausdruck bringen. Freundschaften pflegen. Sich mehr Freude gönnen.“ – Das gefällt mir und Ihnen hoffentlich auch. Davon erzählen alle unsere Beiträge in der einen oder anderen Weise.
Susanne Anger
Sprecherin der Initiative
„Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum"
Für immer und unverzeihlich?
Familie bedeutet Liebe und Geborgenheit, oft aber auch Kränkungen und Ungerechtigkeit. Manche dieser Verletzungen begleiten uns über Jahre. Den eigenen Kindern oder auch den eigenen Eltern zu verzeihen, fällt nicht leicht. Doch es lohnt sich. Denn wer die Vergangenheit loslässt, kann nach vorne schauen und erlebt eine neue Freiheit.
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„Familie ist der
Kern von allem“
Die Führung an die nächste Generation abzugeben, fällt gerade in Familienbetrieben schwer. Beatrice Rodenstock kennt das aus der eigenen Familie. Aufgewachsen im Brillenimperium Rodenstock ist sie eine Expertin für das schwierige Gemisch aus familiären Bindungen und unternehmerischer Verantwortung. Ein Gespräch über die Kraft von Familie, das Festhalten und das Loslassen.
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Lesetipp
Zehn Tage verbringt Martin Simons „mit geschärften Sinnen in einer Art Todeszone“. Er ist 44 Jahre alt, als bei ihm eine Hirnblutung festgestellt wird, die ihn jeden Moment töten kann. Ans Bett gefesselt auf der Intensivstation, in einem Schwebezustand zwischen Leben und Tod, versinkt er ganz in seinem Inneren und zieht Bilanz über sein bisheriges Leben. Was ihm gelungen ist, was nicht, wie viel Glück er hatte. Die unmittelbare Erfahrung der eigenen Vergänglichkeit ist für den Erzähler eine Befreiung, die ihn verändert. Er versöhnt sich innerlich mit seinen Eltern und spürt mehr denn je die Liebe zu seiner Frau und seinem Kind – der „innere Panzer“ ist aufgebrochen.
Martin Simons: „Jetzt noch nicht, aber irgendwann schon“. Roman. Aufbau Verlag, 2019. Gebunden, 186 Seiten. 20 Euro.
Das Zitat
Was bleibt. Daß es kein Unglück gibt außer dem, nicht zu leben. Und am Ende keine Verzweiflung außer der, nicht gelebt zu haben.
CHRISTA WOLF
1929-2011, deutsche Schriftstellerin
45 %
Die Zahl
Loslassen fällt uns oft schwer. Lieber halten wir an schlechten Gewohnheiten und ungesunden Ritualen fest, als etwas Neues zu beginnen. Denn unser Gehirn liebt Routinen und wäre ohne sie überfordert. Die US-Psychologin Wendy Woods hat Studienteilnehmer gebeten, stündlich ihre Aktivitäten und Gedanken zu notieren. Das Ergebnis: Fast die Hälfte unserer täglichen Handlungen sind Gewohnheiten, die sich willentlich kaum kontrollieren lassen. Aber wir können sie austricksen: indem wir die alten Rituale durch neue ersetzen.
Berühmte Testamente
Ebelin und Gerd Bucerius
Als liberaler Querdenker, streitbar und zugleich tolerant, gehörte Gerd Bucerius zu den prägenden Persönlichkeiten der Nachkriegszeit. „Tun zu müssen, was andere sagen, ist mir mein Leben lang unerträglich gewesen“, bekannte er einmal. Neben seiner Karriere als Bausenator in Hamburg und als Bundestagsabgeordneter der CDU gründete Bucerius 1946 die Wochenzeitung Die Zeit, die ihm zur Lebensaufgabe wurde. An seiner Seite: Ebelin, seine couragierte und tatkräftige Frau. Sie war ab 1961 als Geschäftsführerin des Zeitverlags dafür zuständig, die Anzeigenkunden zu akquirieren – angesichts der Verluste, die das Blatt jahrzehntelang machte, eine wichtige Aufgabe. 1971 gründete Bucerius die Zeit-Stiftung, der beide Eheleute ihr gesamtes Vermögen hinterließen. Die gemeinnützige Stiftung fördert Innovationen in Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur sowie Bildung und Erziehung. Dabei setzt sie sich für eine liberal-weltoffene Zivilgesellschaft ein – ganz im Sinne des freien Geistes der Stifter.
Schon gewusst?
Wer entscheidet im Notfall?
Wer gesund ist, macht sich ungern Gedanken darüber, dass er einmal auf fremde Hilfe angewiesen sein könnte. Unfall, Krankheit, Alter: Rechtlich vorzusorgen, ist sehr wichtig. In einer Patientenverfügung lässt sich verbindlich regeln, welche ärztlichen Schritte in bestimmten Situationen gewünscht sind und welche nicht. Rundum vorgesorgt ist man damit aber noch nicht. Was viele nicht wissen: Ehepartner oder Kinder können nur dann rechtsverbindlich für andere entscheiden, wenn man sie dazu als Bevollmächtigte beauftragt oder, alternativ, als rechtliche Betreuer einsetzt. Die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, sollte man sich nicht nehmen lassen. Wer keinerlei Vorsorge trifft, bekommt vom Gericht einen Betreuer bestellt.
Michael Beuger, Partner der Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE
Das tut gut