No. 21 – ENDLICHKEIT

Wissenswertes

Für immer jung?

Die Altersforschung will den Verfall der Körperzellen aufhalten. Es klingt verlockend: alt und erfahren zu werden ohne lästige körperliche Begleiterscheinung. Doch ist ewige Jugend wirklich erstrebenswert? Was könnten wir verlieren, wenn wir die Vergänglichkeit überwinden?

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älteres Paar im Kettenkarussel: die Sehnsucht nach ewiger Jugend

Einmal angenommen, Sie könnten selbst bestimmen, wie lange Sie leben – würden Ihnen 100 Jahre genügen? Oder könnte es auch etwas länger sein: 150 oder sogar 500 Jahre vielleicht? Oder würden Sie sogar bis in alle Ewigkeit leben wollen, wenn das möglich wäre?

Sie wären mit diesem Wunsch nicht allein. Denn die Sehnsucht nach dem ewigen Leben ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. In vielen Religionen lockt die Vorstellung, dass nach dem kurzen, irdischen Leben den Menschen ein ewiges Wandeln im Paradies erwartet. In anderen soll der Glauben an eine Wiedergeburt die Angst vor der eigenen Vergänglichkeit lindern. Auch in der mittelalterliche Legende vom heiligen Gral wird demjenigen, der ihn findet, Glückseligkeit und ewige Jugend versprochen. Der Wunsch nach Unsterblichkeit findet sich in den Mythen vom Jungbrunnen, dessen Wasser Wunder verheißt, genauso wie in den Geschichten von Vampiren, die unendlich leben, dafür aber Menschenblut brauchen.

Wie altert der Körper?

Uralt: Mythen von Jungbrunnen, von unsterblichen Vampiren und dem heiligen Gral

Bis heute sucht der Mensch nach dem heiligen Gral. In Laboren und Universitäten wird erforscht, wie unser Körper altert und wie man das Altern aufhalten oder rückgängig machen könnte. Die Hoffnung, das Leben in Richtung Unsterblichkeit zu verlängern, lockt auch zahlreiche Investoren. Der Google-Konzern zum Beispiel stattete seine Tochterfirma California Life Company mit 1,5 Milliarden Dollar für die Grundlagenforschung aus. Das frisch gegründete Biotech-Unternehmen Altos Labs erhielt drei Milliarden Euro von prominenten Investoren wie dem Amazon-Gründer Jeff Bezos.

Das biologische Alter zurückdrehen

Und es gibt erste Erfolge: Dem kalifornische Unternehmen Intervene Immune ist es beispielsweise in einer kleinen Studie gelungen, die Lebensuhr von neun Probanden zurückzudrehen – mithilfe einer Kombination bekannter Wirkstoffe wie Diabetesmedikamenten oder menschlicher Wachstumshormone. Ziel des Experiments war der Thymus, eine Drüse im Brustkorb, in der das Immunsystem seine Abwehrzellen trainiert. Indem die Forschenden das Organ reaktivierten, bildeten sich nicht nur neue Abwehrzellen. Auch das biologische Alter der Probanden verjüngte sich um durchschnittlich 2,5 Jahre. Bislang ist jedoch umstritten, welche Nebenwirkungen bei diesem Prozess auftreten könnten.

Doch was passiert eigentlich in unserem Körper, wenn wir älter werden? Der Alterungsprozess findet in jeder einzelnen Zelle statt. Tag für Tag entstehen durch innere und äußere Einflüsse in ihnen kleinere Schäden. Ist man jung, werden diese repariert. Doch die Reparatur-Funktion lässt nach, umso älter wir werden. Eine Folge davon ist, dass die einzelnen Komponenten der Zelle schlechter miteinander kommunizieren und dadurch weniger leistungsfähig werden.

Eine Frau schaut durch eine Lupe: Die Forschung ist im vollen Gange.

Der Alterungsprozess findet in jeder einzelnen Zelle statt.

Zudem verändert sich das Genom mit jedem Mal, das sich eine Zelle teilt. Stück für Stück verkürzen sich die Enden der Chromosomen, bis die Zelle irgendwann nicht mehr aktiv ist. So entstehen „seneszente Körperzellen“, die Forschende im Spaß auch Zombie-Zellen nennen. Sie bleiben untätig an Ort und Stelle, wodurch sie anderen Zellen den Platz verwehren und sogar schädliche Stoffe an ihre Umgebung abgeben. Wann und wie schnell dieser Effekt eintritt, liegt zu einem Drittel an der eigenen Genetik und zu Zweidrittel am Lebensstil.

Fest steht, dass Zombie-Zellen nicht nur das Altern beschleunigen, sondern sich auch zu Entzündungsherden entwickeln, die typische Alterskrankheiten wie Krebs, Diabetes, Demenz, Osteoporose begünstigen. In Versuchen mit Mäusen konnte gezeigt werden, dass sich eine vorzeitige Vergreisung bremsen lässt, wenn man die seneszenten Körperzellen ausschaltet. Entsprechende Medikamente werden inzwischen auch am Menschen getestet. Könnten die sogenannten Senolytika schon in naher Zukunft zu wirksamen Pillen gegen das körperliche Altern werden?

»Wir möchten erreichen, dass die Menschen länger gesund bleiben.«

Forschung an der Verpackung der Gene

Doch nicht nur das menschliche Genom verändert sich im Laufe eines Lebens. Am Max Planck Institut für die Biologie des Alterns in Köln erforscht eine Gruppe um Peter Tessarz die epigenetischen Veränderungen alternder Zellen. Wie eine Art Verpackung bestimmt die Epigenetik, wie stark einzelne Gene abgelesen werden. Das Interessante dabei: Während die Gene sich (fast) nicht verändern, reagiert die Epigenetik auch auf Umwelteinflüsse.

Tessarz und seine Kolleginnen betrachteten das Epigenom von Knochenstammzellen und fanden große Unterschiede zwischen jungen und älteren Mäusen. Vor allem solche Gene, die für den Knochenaufbau zuständig sind, waren bei den älteren Tieren kaum noch aktiv. Die Forschende isolierten entsprechende Stammzellen und behandelten sie mit Natriumazetat. Das reichte aus, um einen ähnlichen epigenetischen Zustand wie in jungen Zellen wiederherzustellen. Die entsprechenden Gene wurden epigenetisch wieder eingeschaltet. „Dieses Ergebnis könnte wichtig für die Behandlung von Osteoporose werden“, sagt Tessarz.

Rentner an Kletterwand: Was geht uns verloren?

Nicht die Lebensspanne, sondern die Gesundheitsspanne verlängern

Denn je mehr die Lebenserwartung steigt, desto mehr nehmen auch die typischen Alterskrankheiten zu: Knochenschwund ebenso wie etwa Demenz. In den kommenden 30 Jahren könnte sich die Zahl der von Demenz Betroffenen verdoppeln, schätzt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft. Den Forschenden am Max Planck Institut geht es daher weniger darum, das Leben der Menschen zu verlängern. „Wir arbeiten hier nicht an einem Ewigkeitsprogramm“, betont Tessarz. „Vielmehr wollen wir die Gesundheitsspanne verlängern. Wir möchten erreichen, dass die Menschen länger gesund bleiben.“

»Vielleicht brauchen wir sogar den Prozess des körperlichen Alterns als einen Teil unseres Lebens.«

Wie aus einem Science Fiction Film erscheint dagegen die Kryonik. Die Idee: einen Menschen so lange einzufrieren, bis es erstens eine Heilung für seine Krankheit gibt und zweitens die Wissenschaft herausgefunden hat, wie man einen ganzen Körper aus diesem Schlaf wieder aufwecken kann. Damit die Zellen dabei nicht beschädigt werden, wird die Körperflüssigkeit mit einem Frostschutzmittel versetzt. Bislang gibt es kaum Anzeichen dafür, dass dies einmal möglich sein wird. Zwar lassen sich beispielsweise menschliche Eizellen gut einfrieren. Mit komplexeren Nervenzellen oder Organen ist das aber wahrscheinlich nicht möglich.

Doch was bedeutet es, wenn wir anfangen, das Altern selbst als eine Krankheit zu betrachten, die sich behandeln lässt, wenn man nur die richtige Medizin findet? Kritikerinnen warnen davor, das Älterwerden auf einen biologischen Prozess zu reduzieren. Schließlich ist damit nicht nur körperlicher Verfall verbunden, sondern auch menschliche Reifung. Und vielleicht brauchen wir sogar den Prozess des körperlichen Alterns als einen Teil unseres Lebens, etwa um uns zunehmend unserer eigenen Endlichkeit bewusst zu werden?

Großvater und Enkel im Sonnenuntergang: Was geben wir weiter?

Manches hat einen besonderen Wert, weil wir nicht wissen, ob wir es noch einmal erleben können.

Ohne Endlichkeit keine Leidenschaft

„Das Leben hat nur durch die Endlichkeit Sinn. Leidenschaft kann man nur entwickeln, wenn es nicht unendlich möglich ist, neue Dinge auszuprobieren. Manches erhält für uns einen besonderen Wert, weil wir nicht wissen, ob wir es noch einmal erleben können. Könnten wir es auf in 200 Jahren verschieben, wäre das anders“, sagte die Hamburger Ethik-Professorin Ingrid Schneider dem „Hamburger Abendblatt“. Ab einen bestimmten Zeitpunkt wäre alles nur noch eine Wiederholung dessen, was wir bereits erlebt hätten. Der Drang sich weiterzuentwickeln, Enthusiasmus, Leidenschaft, Begeisterung, all das nehme ab, mahnt die Professorin.

Wie lange wollen wir also leben? Die älteste Person der Welt stammte aus Frankreich und ist 122 Jahre alt geworden. Das gilt bislang als die längste erreichbare Lebensdauer. Wer mit wirklich alten Menschen spricht, stellt fest: Möglichst ewig leben wollen vor allem die Jüngeren und weniger die Älteren.

Der Berliner Erich Karl zum Beispiel. Als er starb, hatte er 108 Jahre gelebt. Er hatte die Novemberrevolution von 1918 erlebt, die Arbeitslosigkeit der Weimarer Republik, die Erfindung des Tonfilms, den Zweiten Weltkrieg, die Landung auf dem Mond, die Einführung des Farbfernsehers und den Fall der Mauer. Kurz vor seinem Tod sagte er: „Ich bin zufrieden.“ Noch mehr und noch länger wollte er gar nicht mehr. Er hatte genug gelebt.

TEXT: Karl Grünberg
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