Die richtigen Worte: Wie man Trauernden beistehen kann
Auf einen Trauerfall im Bekannten- oder Freundeskreis reagieren viele Menschen hilflos. Wie geht man mit Trauernden um? Was sollte man sagen, und wann sollte man schweigen? Und geht das überhaupt - trösten? Wir fragen den Psychotherapeuten Roland Kachler, der trauernde Menschen begleitet.
Vor einigen Jahren verlor die niederländische Schriftstellerin Connie Palmen ihren Mann – ein halbes Jahr nach der Hochzeit. In einem Interview in der Süddeutschen Zeitung beschrieb sie die erste Zeit nach ihrem Verlust: „Alle versuchen einen zu trösten. Es ist für die Familie und die Freunde kaum auszuhalten, wie schlecht es einem geht. Aber in den ersten Monaten nach Hans’ Tod wollte ich nicht getröstet werden. Die Trauer war das Einzige, was ich noch hatte – sie war meine Verbindung zu ihm“. Trotzdem war es für Palmen wichtig, nicht allein zu sein. Denn sie war kaum noch fähig, für sich selbst zu sorgen. „Am besten hält man die Menschen aus, die sich auf kranke Tiere verstehen. Die sich nicht schämen, einen anzufassen, einen zu drücken, einen wie ein Kind zu behandeln“.
Es gibt keinen Trost, aber da sein hilft
Auf die Kraft des Zuhörens und ein einfaches in die Arme Nehmen vertraut auch der Psychotherapeut Roland Kachler. Es sei normal, sich unsicher zu fühlen, wenn wir mit dem Schmerz und der Verzweiflung der Trauernden konfrontiert werden. „Dann ist es wichtig, zur eigenen Hilflosigkeit zu stehen. Ich kann beispielsweise sagen, dass mir die Worte fehlen.“ Für Trauernde ist das ein Hinweis, wie groß ihre Trauer ist – so groß, dass sie auch andere überfordert. „Man drückt damit aus, dass es im Moment nichts Tröstliches gibt. Und das ist paradoxerweise tröstlich. Einerseits wird die Größe des Verlustes gewürdigt, andererseits die Größe des Schmerzes“, erklärt Kachler. Es sei nicht nötig, viel zu reden. Es reiche, den Trauernden in die Arme zu nehmen. Ihn zu fragen, ob er etwas braucht, ob man vielleicht etwas kochen oder etwas zu essen bringen kann.
Auf Trauernde zugehen
Manchmal wollen trauernde Menschen nicht über den Verstorbenen reden. Etwa, weil sie Angst haben, die Fassung zu verlieren. Dann müssen Freunde und Bekannte dies akzeptieren. Andere ziehen sich zurück und reagieren weder auf E-Mails noch auf Anrufe. Sie brauchen diese Zeit für ihre Trauer und für das innere Gespräch. Trotzdem sollte man ihnen signalisieren, dass man sich kümmert, und sich nach einigen Wochen wieder melden. „Gerade bei schweren Verlusten schaffen es Trauernde oft nicht mehr, aus diesem Rückzug herauszukommen“, erklärt Roland Kachler. „Sie haben immer die Befürchtung, dass sie mit ihrer Trauer anderen zur Last fallen“.
Was hilft und was nicht hilft
Freunde brauchen Geduld. Das ist oft nicht einfach, gerade wenn der Todesfall schon längere Zeit zurückliegt und die Gespräche immer um dieselben Themen kreisen. Gerne würde man mit guten Ratschlägen helfen. Aber Sprüche wie „Schau nach vorne, das Leben geht weiter“ sind ebenso kontraproduktiv wie Erzählungen über eigene Trauererfahrungen. Was dagegen helfen kann: zuhören, über den Verstorbenen reden, Erinnerungen austauschen oder gemeinsam etwas unternehmen wie zum Beispiel Fotos anschauen, zum Grab gehen, an die Unfallstelle fahren.
Besonders bei schweren Trauerfällen besteht noch eine andere Gefahr: dass die Beziehung abbricht. „Ähnlich wie bei Scheidungen verliert man bei schweren Verlusten die Hälfte seiner Freunde“, sagt Psychotherapeut Kachler. Er selbst und seine Frau haben diese Erfahrung nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes gemacht. Freunde erklärten, sie würden es nicht aushalten, dass das Kind gestorben sei. Dass sie Angst hätten, ihnen könnte das Gleiche passieren. Es ist ein magischer Gedanke, eine unbewusste Angst vor Ansteckung auf einer tiefen Ebene.
Wenn die Trauer nicht aufhört
Es gibt Todesfälle, bei denen der Prozess des Trauerns länger dauern kann: manchmal zwei, drei Jahre oder sogar mehr. Dazu zählen zum Beispiel Suizid, Unfalltod, der Tod eines Kindes oder wenn Angehörige den Tod mitverschuldet haben. Die Beziehung zum Verstorbenen ist nicht geklärt, weil man bestimmte Dinge nicht mehr ansprechen konnte. Oder man ist wütend auf den Toten, weil er beispielsweise unachtsam Auto gefahren ist oder sich umgebracht hat. In solchen Fällen brauchen Trauernde oft besondere Unterstützung.
Selbsthilfe online
Auf Leben-ohne-dich.de sind Selbsthilfegruppen für Eltern aufgeführt, deren Kinder verstorben sind. Das Internetforum verwitwet.de ist für Menschen, die in jungen Jahren ihren Lebenspartner verloren haben. Trauernde, die jemanden durch Suizid verloren haben, finden bei agus-selbsthilfe.de Unterstützung.
Eine Möglichkeit ist, sich einer Trauergruppe anzuschließen und sich mit anderen Hinterbliebenen auszutauschen. Auch professionelle Trauerbegleiter oder psychologische Beratungsstellen bieten Hilfe an. Wer sich zu einer Psychotherapie entschließt, sollte einen Therapeuten suchen, der auf die Arbeit mit Trauernden vorbereitet ist.
Professionelle Trauerbegleitung
Das Internetprojekt gute-trauer.de, ein Angebot der Verbraucherinitiative Aeternitas e.V., informiert über das Thema Trauer und den Umgang mit Trauernden. Hier findet sich auch eine Liste mit Beratungsstellen für professionelle Trauerbegleitung.
Den Verstorbenen im Herzen tragen
Psychotherapeut Kachler arbeitete lange entsprechend der verbreiteten Theorie, dass Trauernde möglichst lernen sollten, den Toten loszulassen. Doch nach dem Tod seines eigenen Sohnes veränderte er seine therapeutische Ausrichtung. Heute leitet Kachler Trauernde dazu an, die innere Beziehung zu dem Verstorbenen weiter zu leben. Es geht darum, einen Ort für den Verstorbenen zu finden, ihn im Herzen zu tragen. Nicht nur Trauernde, auch Freunde und Bekannte können dies tun. Es reichen schon kleine Gesten, meint der Therapeut: „Im Oktober war der 16. Todestag unseres Sohnes. Viele Freunde haben uns an diesem Tag eine E-Mail, eine WhatsApp-Nachricht oder eine Postkarte geschickt. Nicht aus Routine, sondern weil sie an uns und Simon gedacht haben. Das war sehr berührend.“
Zum Weiterlesen
Roland Kachler: Meine Trauer wird dich finden. Ein neuer Ansatz in der Trauerarbeit. Der Psychotherapeut und Theologe stellt einen neuen, von ihm entwickelten Weg zur Trauerbewältigung vor und schildert auch seine persönlichen Erfahrungen. Erschienen bei Herder.
Connie Palmen: Logbuch eines unbarmherzigen Jahres. Mit großer Offenheit dokumentiert die Schriftstellerin den Tod ihres zweiten Ehemanns. Sie rekonstruiert die gemeinsame Zeit und beschreibt ihre Gefühle, ihre Trauer und deren Entwicklung. Erschienen bei Diogenes.
Text: Angelika S. Friedl
Fotos: shawn5/Twenty20, carly.ciardullo/Twenty20