Ratgeber

No. 18 – ERFÜLLUNG Resonanz: im Zelt am See innehalten und Natur erleben.

Resonanz: Sich mitschwingen lassen

Höher, schneller, weiter – so ist unsere Gesellschaft getaktet. Der Soziologe Hartmut Rosa setzt dagegen auf „Resonanz“. Denn Erfüllung erleben wir, wenn wir uns auf die Menschen und Dinge um uns herum einlassen, uns von ihnen berühren und bewegen lassen.

Man kann es selbst ausprobieren und zwei Metronome, die unterschiedlich ticken, auf eine bewegliche Platte stellen. Der Effekt ist verblüffend: Die Geräte nehmen den Schwung des jeweils anderen auf, schwingen mit und schon nach kurzer Zeit schlagen die beide Metronome im gleichen Takt. Für den Soziologen Hartmut Rosa ist es ein passendes Bild, wenn er seinen Begriff der Resonanz beschreibt. „Ich meine mit Resonanz eine Beziehung zur Welt, in der man einerseits offen ist, um sich berühren zu lassen, vielleicht ergreifen zu lassen, aber andererseits auch selber seine eigene Stimme entfalten kann und damit etwas oder jemanden erreichen kann in der Welt“, sagte Rosa in einem Interview.

Resonanz entsteht laut Rosa also da, wo der Mensch sich berühren, inspirieren und bewegen lässt von den Begegnungen, die er hat. Diese Begegnungen können mit Menschen sein, mit der Natur oder mit einer sinnhaften Tätigkeit. Doch um all das wirklich wahrzunehmen, brauche es eine Offenheit dafür, denn wir müssen in der Lage sein, diese Resonanz auch zu spüren.

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Tempo rausnehmen und sich öffnen

Es kann so einfach sein. So wie unser Sommer auf einem kleinen Campingplatz: unser Zweier-Zelt, ein winziger Kocher, das Fahrrad an den Baum gelehnt. Mein Sohn stapfte morgens los, um mit den anderen Kindern zu spielen. Ab und an kam er wieder, wenn er Durst hatte oder Hunger. Ich war unterdessen damit beschäftigt, mir einen Kaffee zu kochen, in den Himmel zu schauen, zu beobachten wie die Bäume sich im Wind wiegten, wie die Vögel flogen und wie die Wellen auf dem See sich kräuselten. Vielleicht las ich was, vielleicht auch nicht, ich kann mich nicht mehr erinnern.

Es war ein Müßiggang par Exzellenz. Das Smartphone hatte keinen Empfang: keine Emails, keine digitalen Verlockung. Stattdessen beobachtete ich mit wachsender Neugierde die Natur um mich herum. Ich erinnere mich an die tiefe Zufriedenheit, die mich dabei erfüllte.

Resonanz: Eine Frau blickt lachend in den Rückspiegel.

Der Soziologe Rosa sieht Resonanz als eine Voraussetzung für das gute Leben, die uns zunehmend abhanden kommt. Stattdessen leben wir in einer Welt, die sich immer weiter beschleunigt – angetrieben von einem Wirtschaftssystem, das auf permanentes Wachstum setzt, auf ständigen Fortschritt und auf Konkurrenz. Zufriedenheit sei dagegen ein Zustand, der negativ besetzt sei, weil er Stillstand suggeriere.

Ohne Plan und ohne Ziel

Ängste, Stress, extremer Zeitdruck und starker Wettbewerb – das alles halte uns davon ab, in Resonanz zu treten. Statt Muße zu suchen, versuchen wir, uns die Welt verfügbar zu machen. Wir reisen in ferne Länder, zapfen im Internet das Wissen der gesamten Welt an oder scrollen uns per Streaming durch unendlich viele Filme oder Serien. Wir erleben dabei aber keine Resonanz, sondern ein Verstummen der Welt, das Leere und Unzufriedenheit auslöse, so Rosa. Zwar könne man Resonanz nicht erzwingen. Aber man könne seine Haltung ändern und Bedingungen schaffen, unter denen Resonanz möglich werde. Es gehe darum, Platz zu schaffen für das Absichtslose, das reine Spielen und Staunen, nur so zur Freude oder zur Muße. Sich auch auf das Unkontrollierbare und Ungeplante einzulassen.

Resonanz: Ein Schwarm Kraniche fliegt in den Süden.

Als Belohnung spürt man dann plötzlich eine Gänsehaut vom kühlen Wind. Die Angeregtheit bei einer spannenden Diskussion mit Freunden. Die Ergriffenheit beim Anblick des gigantischen Sternenhimmels oder tiefe Zufriedenheit durch einen einfachen Campingtag. Und natürlich beschränkt sich Resonanz nicht auf die schönen Gefühle. Sie kann uns auch die Tränen in die Augen treiben, etwa wenn wir eine traurige Geschichte hören.

Ganz konkret setzt der Soziologe Rosa auf zwecklosen Müßiggang und empfiehlt beispielsweise, Musik zu hören. Für mich war in diesem Sommer der Sound der Natur meine Musik. Ich hörte die Stimmen der Vögel, das Rauschen des Windes, das Summen der Insekten. Danach habe ich mir wieder ein altes Mobiltelefon gekauft. Wenn ich mein Smartphone nicht unbedingt brauche, bleibt es nun zuhause. Das hilft dabei, offen zu bleiben: für die Wunder des Alltags und die Resonanz, die sie in mir auslösen.

Zum Weiterlesen

Lesetipp Erfüllung durch Resonanz

Harmut Rosa: „Resonanz“. Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung. Der Soziologe Hartmut Rosa plädiert dafür, den Blick auf die Welt um uns herum zu öffnen, als Individuen und als Gesellschaft. Erschienen im Suhrkamp Verlag.

GESPRÄCH: Karl Grünberg
FOTOS: Josh Hild / Pexels, Misha Dumov / Stocksy, Secretgarden / Photocase, Tim Mosshol / Unsplash, Suhrkamp Verlag