Biografisches Schreiben: Erinnerungen zu Papier bringen
Schicksalhafte Begegnungen, große Liebe, Erfolge und Niederlagen, späte Einsichten und auch der eine oder andere Irrtum: Wer auf sein Leben zurückblickt, hat viel zu erzählen und möchte seine Erinnerungen vielleicht auch aufschreiben. Mit ein paar Tricks gelingt der Einstieg ins biografische Schreiben.
Auf dem Tisch ein weißes Blatt Papier, in der Hand ein Stift – und im Kopf ein ganzes Leben: Erinnerungen an Kindheit und Jugend, an die erste Liebe und an Menschen, von denen manche bereits gegangen sind. An Wohnorte und Reisen, an Privates und Berufliches. „Einen Anfang zu finden, kann unglaublich schwer erscheinen“, weiß Schreibpädagogin Kirsten Alers. Die Dozentin am Studiengang „Biografisches und Kreatives Schreiben“ an der Alice Salomon Hochschule Berlin bietet Kurse an, die Menschen beim autobiografischen Schreiben unterstützen. „Wer Lust hat, zu schreiben, sollte sich nicht von dieser ersten Hürde abschrecken lassen.“ Der erste Schritt ist in der Regel ein stiller: Augen schließen und Erinnerungen kommen lassen. Dann sollte man sich erlauben, ins Schreiben zu kommen, ohne lange zu überlegen und ohne allzu kritisch zu sein.
Für wen will ich schreiben?
„Ich sollte wissen, warum ich überhaupt schreiben möchte“, erläutert Alers. Möchte ich meine Erinnerungen auffrischen? Mir darüber klar werden, wer ich bin und wie ich wurde? Oder will ich für andere schreiben, etwa Kinder oder Enkel? „Aus der Motivation heraus ergibt sich die Art des Schreibens“, sagt die Schreibpädagogin. Wissen beispielsweise meine Leser, was gemeint ist, wenn dort steht ‚Ich und Imke’? Oder schreibe ich für das bessere Verständnis ‚Ich und meine Schwester‘? Wer etwa für eine konkrete Person schreibt, kann dies auch in Briefform tun.
Eine Auswahl treffen
Von Anfang an sollte klar sein, dass es unmöglich ist, ein Leben in Gänze darzustellen. Alers warnt zudem davor, das eigene Leben chronologisch zu beschreiben. Bei der Geburt anzufangen und dann sämtliche Stationen durchzugehen, sei keine gute Idee. „Das befördert einen eher steifen Berichtsstil. Man versucht, alles unter einen Sinnzusammenhang zu bekommen“, so Alers. Dabei biete sich beim Niederschreiben des eigenen Lebens auch die Chance, neue Verknüpfungen oder Oberthemen zu entdecken.
Die Schreibpädagogin empfiehlt stattdessen, einzelne Episoden aufzuschreiben und dabei auch Lücken zuzulassen. „Wer episodisch schreibt, macht es sich selbst einfacher und sein Werk für Lesende interessanter.“ Die Autobiografie gewinnt an Reiz, wenn sie thematische Schwerpunkte setzt. Hat man die ersten Episoden aus dem eigenen Leben aufs Papier gebracht hat, bilden sich üblicherweise die wichtigen Themen heraus: etwa Liebe, Berufungen oder Lebensphilosophien, die man dann weiterentwickeln kann.
Alte Erinnerungen wecken
Damit keine gute Idee und keine spontane Erinnerung verloren gehen, bietet es sich an, lose Blätter mit Notizen in einen Aktenordner zu heften, auch dies am besten schon thematisch sortiert. Einige Erinnerungen sind mit den Jahren verblasst. Doch mit ein paar Tricks lässt sich dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen, etwa durch Fotos, Lieder, Schmuckstücke oder Porträts von Menschen, die einem wichtig sind. „Erinnerungen lassen sich vor allem sinnlich einfangen“, sagt Alers. Eine andere Methode, die sie empfiehlt, ist der so genannte Fahrstuhl.
Fahrstuhl in die Vergangenheit
So lassen sich Erinnerungen systematisch sammeln und eine Struktur für die eigene Biografie entwickeln:
- Mit einer Liste wird das eigene Leben chronologisch unterteilt, zum Beispiel in 5- oder 10-Jahresabschnitte.
- Oben steht die Gegenwart, absteigend geht es mit jedem Zeitabschnitt weiter in die Vergangenheit zurück – ähnlich wie bei einem Fahrstuhl.
- Zu jedem Zeitabschnitt notiert man Stichwörter, wie sie in den Kopf kommen, etwa: Bücher, Menschen, Ausbildung, Liebe, Reisen.
- Diese Listen lassen sich im Laufe der Zeit sortieren und ergänzen.
- Daraus kann sich ein inhaltlicher Faden ergeben, der sich über das ganze Leben erstreckt. Oder es werden Schwerpunkte in den jeweiligen Abschnitten deutlich.
- Beim Schreiben können jene Punkte, die bereits ins Werk eingeflossen sind, abgehakt werden.
Schreiben braucht Ruhe und Inspiration
Die Erinnerungen ans eigene Leben und der Prozess des Schreibens brauchen im wörtlichen Sinn vor allem Zeit und Raum: Es hilft, sich an bestimmten Tagen zu einer konkreten Uhrzeit an einen stillen Ort zurückzuziehen, um sich zu sammeln. „Dies ist auch ein Zeichen dafür, dass man dieses Schaffen ernst nimmt“, sagt Alers. Anregungen bekommt auch, wer parallel zum Schreiben liest, etwa die Autobiografien anderer Menschen. Persönliche Lieblingsgedichte wiederum bieten sich für Schreibübungen an: Warum nicht einmal den formal anregenden Rahmen nutzen und mit eigenen Inhalten füllen? „Allerdings empfiehlt sich beim autobiografischen Schreiben ein Erzählton. Wenn man so schreibt, als würde man jemandem etwas am Telefon erzählen, fällt das Schreiben oft leichter und der Ton wirkt lebendiger“, rät die Schreibpädagogin. Die persönliche Note könne auch unterstrichen werden, indem man die Sprache oder den Dialekt seiner Kindheit nutzt. „Das fördert oft sogar den Schreibfluss.“
Ein weit verbreitetes Vorurteil ist übrigens, dass Schreiben eine einsame Tätigkeit sei. „Wer sich dabei mit anderen zusammentut, bekommt viele Anregungen“, so Alers. Findet sich in der Nähe kein entsprechendes Angebot, kommen vielleicht im Bekanntenkreis einige Interessierte für eine Schreibgruppe zusammen.
Lesetipp
Hanns-Josef Ortheil: Schreiben über mich selbst – Der Ratgeber des Bestsellerautors ist kein strenges Lehrbuch mit Geboten und Regeln, sondern ein unterhaltsam geschriebener Schreibkurs mit Übungen zu allen Facetten des autobiografischen Schaffens: von der Kindheitserinnerung und Selbstbeobachtung, über das Erzählen prägender Erlebnisse, bis hin zu längeren Texten über Herkunft und Familie. „Nach der Lektüre“, so Ortheils Ziel, sei Schreiben über sich selbst, „was es sein sollte: eine lebensnotwendige, lebensverlängernde, lebensintensivierende Kraft“. Erschienen im Duden Verlag.
Text: Lars Klaaßen
Fotos: b-fruchten / photocase.de, Kirsten Alers / Wortwechsel, Duden Verlag