Editorial
Ein Leben ohne Erinnerungen? Eine furchtbare Vorstellung. Sind sie doch das Koordinatensystem unserer Persönlichkeit. In Erinnerung bleibt, was emotional berührt. Am stärksten sind wohl die kleinen und großen Höhen und Tiefen unseres Lebens in uns verankert: das Kribbeln der ersten großen Liebe, der Stolz, als unsere Kleine schwimmen konnte, der Schmerz, als Mutter starb.
Unser Gehirn ist ein gigantischer Speicher. Manchmal braucht es nur einen flüchtigen Impuls, eine Melodie, einen Geruch, ein Foto, um ein lange zurückliegendes Ereignis in das Jetzt zurückzuholen. Dabei sind Erinnerungen immer Interpretationen des Erlebten und sie verändern sich jedes Mal, wenn wir sie aus dem Gedächtnis abrufen. Aktuelle Stimmungen stärken oder schwächen unsere Empfindungen, manche Details werden stärker, andere verblassen.
Erinnerungen sind Brücken in die Vergangenheit. Sie enthalten aber auch Botschaften für das Heute und das Morgen. Erinnerungen helfen uns zu verstehen, wie wir wurden, was wir heute sind. Ohne sie können wir uns keine Zukunft vorstellen. Sie weiterzugeben, kann uns und anderen hilfreich sein. Nicht zuletzt ist das Erinnern eine Frage des Ausbalancierens von Festhalten und Loslassen. Was war? Was ist? Was bleibt? Das fragen wir uns deshalb in der neuestens Ausgabe unseres Magazins.
Susanne Anger
Sprecherin der Initiative
„Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum"
Erzähl doch mal!
Viele Menschen möchten ihre Erfahrungen an Kinder, Enkel oder an die nächste Generation weitergeben. Oft fragen aber auch die Jüngeren die Älteren: Wie war das damals? Warum hast du dich so und nicht anders entschieden? Gelebte Erinnerungen sind ein großer Schatz. Sie können bereichernd sein, oder lustig, manchmal auch traurig. Eine Anregung zum Dialog.
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Verdrängt, verschwiegen
– und vererbt
Der Zweite Weltkrieg bildet in der Erinnerung vieler Familien eine Lücke. Was damals geschah und wie die eigene Familie in nationalsozialistische Verbrechen verstrickt war, darüber herrscht Schweigen. Doch unter den traumatischen Erlebnissen ihrer Eltern leidet auch die nächste Generation. Viele Kriegsenkel machen sich auf Spurensuche. Der Blick zurück ist schmerzhaft, aber heilsam.
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Lesetipp
Eine Schriftstellerin findet im Haus der Mutter ihr altes Tagebuch. Die Aufzeichnungen stammen von 1979, als sie als junge Literaturstudentin nach New York kam, voller Wissbegier und Abenteuerlust, um ihren ersten Roman zu schreiben. Sie belauscht die geheimnisvolle Nachbarin, entgeht knapp einer Vergewaltigung und entthront einen überheblichen Philosophieprofessor, während in ihr eine lange verborgene Wut aufsteigt. 40 Jahre später setzt die Erzählerin die vielen Puzzleteile zusammen, aus denen sie wurde, wer sie heute ist. Doch wo endet die Erinnerung, wo beginnt die Erfindung? Ein Buch über das Erinnern, die Zeit und das Schreiben.
Siri Hustvedt: „Damals“. Roman. Rowohlt Verlag, 2019. 448 Seiten. 24 Euro.
Das Zitat
Viele leben zu sehr in der Vergangenheit. Die Vergangenheit soll ein Sprungbrett sein, aber kein Sofa.
Harold Macmillan
1894 – 1986, ehem. britischer Premierminister
DAS GUTE BEISPIEL
Lisa Maskell
Ihr Großvater war der Fabrikant Fritz Henkel. Ihre Mutter stammte aus der bekannten Düsseldorfer Künstlerfamilie Janssen. Sie selbst studierte beim Bildhauer Ewald Mataré und interessierte sich vor allem für Kunst- und Kulturwissenschaften. Als Lisa Maskell 1976 zum Gedenken an ihre Mutter die Gerda Henkel Stiftung gründete, lautete das Ziel: Förderung der Historischen Geisteswissenschaften. Seitdem konnten mehr als 7.100 Forschungsvorhaben mit rund 190 Millionen Euro unterstützt werden. Die Stipendien erleichtern eine Vereinbarkeit zwischen Wissenschaft und Familie und gehen zur Hälfte an Frauen. Über 20 Jahre lang leitete Lisa Maskell die Stiftung. Nach ihrem Tod übernahm die Tochter, später ihre Enkelin den Vorsitz. Im Laufe der Jahre sind die Themen internationaler und zukunftsbezogener geworden. So fördert die Stiftung inzwischen auch Wissenschaftsnachwuchs in Südostasien und Afrika und setzt sich in Krisenregionen für den Erhalt des kulturellen Erbes ein.
8.000
Die Zahl
Persönlich, subjektiv und emotional – Berichte von Zeitzeugen bringen vergangene Epochen näher als jedes Geschichtsbuch. Denn sie berühren uns und helfen, die Gefühle und Gedanken der Menschen zu einer bestimmten Zeit zu verstehen. Auf dem Zeitzeugen-Portal.de sind 8.000 Videos online abrufbar, mit Erinnerungen zur deutschen Geschichte, vom 1. Weltkrieg bis zur Gegenwart. Das Haus der Geschichte hat dazu verschiedene Video-Archive zusammengefasst. Ein Schatz, der Erinnerung lebendig hält.
Schon gewusst?
Erinnerungsstücke
Nicht immer geht es beim Streit um das Erbe um ein großes Vermögen. Manchmal sind es ganz persönliche Gegenstände des Verstorbenen, die mit besonderen Erinnerungen verbunden sind und nun für Uneinigkeit unter den Erben sorgen. Wer bekommt das alte Küchengeschirr, wer darf das selbst gemalte Bild mitnehmen? Ist weder im Testament noch im Erbvertrag festgelegt, wem das Erbstück vermacht wird, haben grundsätzlich alle Erben einen Anspruch. Etwas bevorzugt ist der Ehepartner, der nach § 1932 BGB alle Gegenstände behalten darf, die er braucht, um den Haushalt angemessen fortzuführen. Darüber hinaus gibt es aber keinen gesetzlichen Anspruch auf ein Erinnerungsstück. Die Erben müssen sich also untereinander einigen, gegebenenfalls mit Hilfe eines Notars oder Mediators. Eine andere Möglichkeit: Sie versteigern den Gegenstand und versuchen, ihn bei der Auktion selbst zu erwerben.
Michael Beuger, Partner der Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE
Das tut gut