Ratgeber

No. 14 - VERTRAUEN Vertrauen lernen: Eine Hand wird ausgestreckt. Symbolbild. Verlorenes Vertrauen lässt sich wiedergewinnen. Eva Schulte-Austum hat dazu 9 Rezepte entwickelt. Ein Ratgeber. In: Prinzip Apfelbaum. Magazin über das, was bleibt. Foto: Mr. Nico/photocase.de

Vertrauen lernen: Den richtigen Wolf füttern

Wer schwer enttäuscht oder tief in der Seele verletzt wird, kann das Vertrauen in andere Menschen verlieren. Doch zum Glück lässt sich Vertrauen wieder zurückgewinnen. Das weiß die Wirtschaftspsychologin Eva Schulte-Austum aus eigener Erfahrung – und hat dafür neun Rezepte entwickelt. Denn ohne Vertrauen geht es nicht.

In neun Länder ist Eva Schulte-Austum gereist, mehr als 350 Menschen hat sie interviewt: Forschende, Fachleute aus Politik, Wirtschaft und Medien, Menschen auf der Straße oder im Café. Von allen wollte die Wirtschaftspsychologin wissen: Wie entsteht Vertrauen in uns selbst, in andere und ins Leben und warum ist es so wichtig für unsere Zufriedenheit? Sie bereiste Länder, die zu den vertrauensstärksten der Welt zählen – Norwegen, Schweden und Dänemark, die Niederlande, die Schweiz, Kanada, die USA und Vietnam. Aber auch im eher misstrauischen Deutschland war Schulte-Austum unterwegs.

Aus Erfahrung misstrauisch?

In ihrem Buch „Vertrauen kann jeder“ erzählt sie unter anderem die Geschichte ihres eigenen Misstrauens. Als junges Mädchen wurde Eva Schulte-Austum missbraucht. Obwohl sie liebevolle Menschen um sich hatte, verschloss sie sich immer mehr, war irgendwann körperlich und seelisch am Ende. „Nach einem intensiven Gespräch mit einer Freundin, die viele Jahre älter war als ich, wurde mir klar, was mir zu meinem Glück fehlte: Vertrauen.“ In einem langwierigen Prozess lernte sie, anderen Menschen wieder zu vertrauen, und kämpfte sich so ins Leben zurück. Ihr Fazit: „Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen Beziehungen, um glücklich zu sein. […] Vertrauen ist ein wesentlicher Teil davon.“ Ein gewisses Risiko müsse man dabei in Kauf nehmen: „Wer vertraut, der kann verletzt werden, wer allerdings nicht vertraut, verletzt sich selbst.“

Vertrauen lernen: Eine Hospizmitarbeiterin spricht mit einer schwerkranken Frau. Symbolbild. Vertrauen ist eine Entscheidung zum Glück – und es lässt sich trainieren wie ein Muskel. Ein Ratgeber. In: Prinzip Apfelbaum. Magazin über das, was bleibt. Foto: flaurelll/Twenty20

Misstrauen schützt nicht vor schlechten Erfahrungen

Zunächst werden wir alle mit einer ordentlichen Portion Vertrauen geboren. Das zeigen wissenschaftliche Studien: Während Misstrauen vollständig erlernt ist, sind etwa 30 Prozent unserer Fähigkeit, uns selbst und anderen zu vertrauen, bereits in unseren Genen angelegt. Die restlichen 70 Prozent lassen sich auf persönliche Erfahrungen zurückführen. Genau die können dazu führen, dass manche Menschen das Vertrauen in sich und andere verlernen. So wie Eva Schulte-Austum. Wer von anderen belogen und betrogen wurde, meint womöglich, sich mit Argwohn vor weiteren Verletzungen schützen zu können. Ein Trugschluss. „Misstrauen erhöht das Risiko für schlechte Erfahrungen“, sagt die Wirtschaftspsychologin. „Begegnen wir unserem Gegenüber mit Misstrauen, erzeugen wir in der Mehrzahl der Fälle genau das Verhalten, das wir befürchten.“ Vorbehalte und Zweifel wirken also wie eine selbsterfüllende Prophezeiung und beschwören genau das herauf, was man doch eigentlich vermeiden will.

Neun Rezepte, mit denen Vertrauen gelingt

Wieder an das Gute im Menschen zu glauben, auch in dem Wissen, das Enttäuschungen zum Leben dazugehören, lasse sich trainieren wie ein Muskel. Davon ist Schulte-Austum überzeugt. „Und nicht nur das: Vertrauen folgt klaren Rezepten, die uns den Weg erleichtern und nach denen wir handeln können.“ Sie helfen nicht nur dabei, selbst eine vertrauensvolle Haltung zu entwickeln. Sie liefern auch Anhaltspunkte dafür, auf wen wir zählen können und auf wen eher nicht.

Neun Vertrauensrezepte

  • V – Verschwiegenheit als die Bereitschaft, mit vertraulichen Informationen diskret umzugehen. Eine Kunst des Maßhaltens: „Wer zu diskret ist, wirkt verschlossen. Wer es zu wenig ist, erscheint uns zu offenherzig. Beides macht Menschen skeptisch.“
  • E – Ehrlichkeit in Worten und konkreten Taten. Das heißt auch, Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen. „Eine Entschuldigung wirkt vertrauensstiftender als eine Rechtfertigung.“
  • R – Respekt als eine wohlwollende Grundhaltung gegenüber anderen, unabhängig von deren Taten und Leistungen. Verbunden mit der Fähigkeit, Grenzen zu erkennen und zu wahren.
  • T – Transparenz schafft Vertrauen. Dazu müssen wir anderen nicht nur Einsicht in unser Handeln gewähren, sondern auch in unsere Gefühle, Erwartungen und Wünsche.
  • R – Reliabilität als beständige Zuverlässigkeit. Es geht darum, möglichst sein Wort zu halten und transparent damit umzugehen, wenn das einmal nicht gelingt. Zuverlässigkeit hängt immer auch mit den Erwartungen des Gegenübers zusammen. In Notlagen erwarten wir z.B. von der guten Freundin emotionalen Beistand, vom Chef hingegen kurzfristigen Urlaub.
  • A – Aufrichtigkeit als das Handeln im Einklang mit den eigenen Werten und Prinzipien. Eine Basiszutat ist Integrität: „Integer verhalten sich Menschen, die den Mut haben, das ‚Richtige‘ zu tun, auch wenn es unbequem ist.“
  • U – Unterstützung, egal, ob emotionale oder ganz praktische, reduziert das Risiko, enttäuscht zu werden. Hilfsbereiten Menschen ist daran gelegen, dass es einem gut geht. „Unterstützung stillt zudem das menschliche Grundbedürfnis nach Nähe und Zugehörigkeit.“
  • E – Empathie als die Fähigkeit, mit anderen mitzudenken, mitzufühlen, sich einzulassen und angemessen zu reagieren. „Unser Einfühlungsvermögen hilft uns sehr, die Vertrauensfallen im Alltag leichter zu erkennen und sie klug zu meiden.“ Denn es ermöglicht uns, zwischen den Zeilen zu lesen, die Gedanken, Gefühle und Erwartungen unseres Gegenübers zu erkennen.
  • N – Neutralität als Fähigkeit, Menschen möglichst vorurteilslos zu begegnen, sie gerecht und anständig zu behandeln –­ und ihnen einen Vertrauensvorschuss zu geben.

Doch warum fällt es manchen Menschen leichter, Vertrauen aufzubauen, als anderen? Eine Antwort liefert der Schweizer Shaolin-Mönch Shi Xing Mi: „Jeder von uns trägt zwei Wölfe in sich. Der eine heißt Vertrauen, der andere Misstrauen.“ Jeden Tag würden beide miteinander kämpfen, mal setze sich der eine durch, mal der andere. Doch am Ende gewinne der Wolf, den man füttere.

In der richtigen Dosis

„Vertrauen beginnt immer mit einem ersten Schritt: der Entscheidung zu vertrauen“, ist Eva Schulte-Austum überzeugt. „Nur wenn wir anderen prinzipiell trauen, können sie unser Vertrauen bestätigen.“ Unsere Entscheidung für oder gegen Vertrauen hänge weniger von dem ab, was wir erleben, sondern von dem, was wir daraus machen. Die neun Rezepte sollen dabei helfen, klug in Vorleistung zu gehen – Vertrauen zu investieren, statt es einzufordern.

Zum Weiterlesen

Vertrauen lernen: Cover des Buches „Vertrauen kann jeder“ von Eva Schulte-Austum. Vertrauen ist eine Entscheidung – und es lässt sich trainieren wie ein Muskel. In: Prinzip Apfelbaum. Magazin über das, was bleibt. Foto: Knaur-Verlag, Sincerely Media/Unsplash

Eva Schulte-Austum: Vertrauen kann jeder. Das Rezeptbuch für ein erfülltes Leben. Vertrauen ist eine Entscheidung – und es lässt sich trainieren wie ein Muskel. Wie das gelingt, erklärt die Wirtschaftspsychologin Eva Schulte-Austum in ihrem Buch. Erschienen bei Knaur, 2019.

TEXT: Kristina Simons
FOTOS: Mr. Nico/photocase.de, flaurelll/Twenty20, Knaur-Verlag, Sincerely Media/Unsplash