Ratgeber

No. 24 – WEGE Es ist nie zu spät für die Liebe.

Zweite Heirat: Liebe auf neuen Wegen

Immer mehr ältere Menschen lassen sich scheiden, nachdem sie ein halbes Leben miteinander verbracht haben. Doch noch schneller steigt die Zahl der Hochzeiten mit 50+. Es spricht viel dafür, im Alter ein neues Liebesglück zu wagen, egal ob mit einem neuen Menschen oder mit dem schon lange vertrauten.

Wer es bis zur Silberhochzeit geschafft hat, wird auch den Rest des Lebens gemeinsam verbringen. So sollte man meinen. Doch tatsächlich lassen sich immer mehr ältere Ehepaare scheiden. Dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zufolge hat sich die Zahl der Scheidungen nach 25 oder mehr Ehejahren in den letzten 30 Jahren fast verdoppelt.

Gleichzeitig wagen aber noch mehr ältere Menschen den Neuanfang in der Liebe. Zwischen 1991 und 2021 stieg laut Statistischem Bundesamt die Zahl derjenigen, die mit 50 Jahren oder älter noch einmal heirateten, um deutlich mehr als das Doppelte. Der Anteil der 50+ Hochzeiten kletterte sogar von sieben auf 20 Prozent.

Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch scheint, hängt natürlich zusammen. Denn wer im Alter heiratet, tut dies meist nicht zum ersten Mal. Das heißt, viele haben sich zuvor scheiden lassen. „Dafür gibt es viele Gründe, aber erst ein konkreter Anlass bewegt Menschen dazu, den Schritt auch zu tun“, sagt Stefan Woinoff, Paartherapeut und Beziehungsexperte der Dating-Plattform 50plus-Treff.de. „Die Frage, wo man im Leben steht – auch miteinander –, stellt sich bei Ehepaaren besonders deutlich, wenn die Kinder aus dem Haus sind.“

Das Zusammenleben lässt sch neu verhandeln.

Wenn die Kinder ausziehen

Damit beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Im Haus wird es ruhiger, eine Reihe von alltäglichen Routinen entfallen und zugleich tun sich neue Möglichkeiten auf: Was tun mit der freien Zeit, vielleicht auch mit dem freigewordenen Raum im Haus? „Paare, die schon zuvor nicht mehr glücklich miteinander waren, stellen nun Ihre Beziehung in Frage“, sagt Woinoff. „Wegen der Kinder muss man nun nicht mehr zusammenbleiben – und kann seine neu gewonnene Freiheit auch ohne den bisherigen Partner gestalten.“

Weil die Lebenserwartung heute deutlich höher liegt als noch vor wenigen Jahrzehnten, können viele nach dem Auszug der Kinder noch auf weitere 20 oder 30 Jahre hoffen, in denen sie weitgehend gesund bleiben und ihren Alltag aktiv gestalten. „Ein Paar kann auch gemeinsam die Chance ergreifen und etwas Neues angehen, sich neu anschauen, ein Stück weit sogar neu erfinden“, betont Woinoff. „Ich kenne zum Beispiel ein Paar, das einen Tango-Kurs besuchte, sich einen Camping-Bus kaufte und so auf verschiedenen Wegen die Welt und damit auch sich selbst neu entdeckte.“

Seiner Erfahrung nach stehen vor allem Männer vor einer Herausforderung, wenn Sie das Rentenalter erreichen. Nachdem jahrzehntelang die Arbeit im Mittelpunkt des Lebens stand, wird die Neuorientierung zu einer umfassenden Aufgabe. Frauen dagegen hätten oft viel in die Familie investiert und dabei persönlich zurückgesteckt, so der Therapeut: „Sie suchen dann auch außerhalb dieses Rahmens etwas Neues, wollen sich also häufiger trennen als die Männer.“

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Ein neues Gegenüber ermöglicht eine neue Rolle

Neuanfang beschränkt sich nicht darauf, sich einen neuen Partner zu suchen. Wer in einen neuen Lebensabschnitt aufbricht, will etwas in seinem Leben ändern – einschließlich sich selbst und der Rollen, die man ausfüllt. „Eine neue Partnerin oder ein neuer Partner eröffnet hierbei sehr viele Möglichkeiten“, sagt Woinoff. „Wenn mein Gegenüber ein anderer Mensch ist als zuvor, ändert sich auch meine Rolle.“ Man wird im Erfreulichen wie im Schwierigen mit einem anderen Verhalten und anderen Sichtweisen konfrontiert. Ein anderes Gegenüber spricht unweigerlich auch andere Seiten der eigenen Persönlichkeit an, mit den neuen Lebensumständen ändert man auch sich selbst.

Neu lieben und leben

Auf Erfahrungen bauen

Wer sich im Alter erneut bindet, bringt eine gute Portion Lebenserfahrung mit, nicht zuletzt aus einer früheren Ehe oder aus vergangenen Beziehungen. Das schärft im besten Fall das Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse und hilft, sich selbst – und seinem Gegenüber – klarzumachen, was man von der nächsten Beziehung erwartet. „Junge Menschen orientieren sich tendenziell an vorgegebenen Mustern, nicht zuletzt, weil Karriere und Familiengründung mit Kindern dem Alltag ein enges Korsett verpassen“, sagt Woinoff. „Im Alter hingegen winken nicht selten ähnliche Freiheiten, wie seinerzeit während des Studentenlebens.“

Vermeintliche Selbstverständlichkeiten verlieren an Bedeutung. Wer lange in einer Familie gelebt hat, möchte in der neuen Partnerschaft vielleicht nicht mehr zusammenziehen. Umso wichtiger ist es, solche perspektivischen Aspekte früh genug zu besprechen, um sich und dem anderen spätere Enttäuschungen zu ersparen.

Zweite Heirat – neues Testament?

Wer ein zweites Mal heiratet, sollte prüfen, ob das eigene Testament der neuen Situation angepasst werden muss.

Wie viel Nähe, wie viel Distanz?

Welche Interessen man hat, was man aus seinem Leben noch machen möchte, hängt damit zusammen, wie groß die Lust auf Neues ist. Doch auch Gesundheit und Fitness spielen eine wichtige Rolle. Gerade im Alter können die Unterschiede erheblich sein. Hinzu kommt die Frage, wie viel Platz die Beziehung in dem bereits ausgestalteten Alltag einnehmen soll: Wie oft will man sich sehen, was miteinander teilen beziehungsweise unternehmen – oder eben nicht? Solche Fragen stellen sich auch in Bezug auf Sexualität und Erotik. „Sagen sie ihrer neuen Liebe, wofür sie sie brauchen“, rät Woinoff und fügt hinzu: „Das gilt auch für die alte Liebe, so sie denn Bestand hat. Denn auch mit einem Menschen, den man schon lange an der Seite hat, lässt sich immer wieder neu lieben und leben.“

TEXT: Lars Klaaßen
FOTOS: Chino Rocha / Unsplash, Marie Sophie Tekian / Unsplash, Skynesher / iStock