Emotionen: Wie sie unser Verhalten bestimmen
Ob Zorn, Angst, Freude, Scham oder Traurigkeit – häufig bestimmen unsere Gefühle, was wir tun. Umso wichtiger ist es, sie zu erkennen, statt zu leugnen. Das Zulassen muss aber nicht bedeuten, alles auszuleben. Das Gute: Wer seine eigenen Gefühle versteht, kann auch besser mit denen seiner Mitmenschen umgehen.
Unsere Gefühle sind oft ein Ärgernis. Wenn man vor Angst wie gelähmt ist; wenn man wütend wird, statt einen klaren Kopf zu behalten; wenn man schwer verliebt peinlichen Blödsinn redet oder bei einer Präsentation vor Aufregung den roten Faden verliert. Denn Menschsein bedeutet mehr als nur Vernunft. Mehr als wir es wahrhaben wollen, wird unser Verhalten durch unsere unbewussten Emotionen bestimmt. Doch woher kommen alle diese Gefühle?
Gefühle haben wichtige Funktionen
Jedesmal, wenn wir in eine neue Situation geraten, wissen unsere Gefühle ziemlich schnell, was sie davon halten. Unser emotionales Erfahrungsgedächtnis ist unser wichtigstes Bewertungssystem, wie der Neurowissenschaftler Gerhard Roth meint. Haben wir schon einal etwas ähnliches erlebt? Und wie haben wir es abgespeichert, eher als gut, vorteilhaft und lustvoll? Oder eher als schlecht, nachteilig oder sogar schmerzhaft? Im Gedächtnis bleibt das Erlebnis mit dem jeweiligen Gefühl verbunden.
Bevor wir uns bewusst erinnern können, ruft das Gehirn die damaligen Emotionen wieder hervor. Wir fühlen uns gut, wenn wir die vergleichbare Erfahrung positiv abgespeichert haben. Dagegen warnt uns ein schlechtes Gefühl, wenn wir an negative Erfahrungen erinnert werden.
Ohne Gefühle keine Entscheidung
Ohne diese Gedächtnishilfe wären wir ziemlich orientierungslos, betont auch der Neurologe Antonio Damasio in seinem Buch „Descartes Irrtum “. Er beschreibt darin Menschen, die durch lokale Hirnschäden die Fähigkeit verloren haben, Gefühle zu empfinden. In der Folge werden sie gleichgültig. Sowohl ihr Gedächtnis als auch ihr Urteilsvermögen sind eingeschränkt. Auch die Gefühle anderer Menschen können sie nur noch schwer verstehen. Damasio fordert daher zu einem Umdenken auf. Viel zu lange haben wir ihm zufolge rationale Entscheidungen allein dem Verstand zugeordnet. Tatsächlich hängen sie auch von unseren Gefühlen ab.
Tief verborgen und dennoch schnell
Doch im Alltag erscheinen uns unsere Gefühle oftmals weniger eine Orientierungshilfe als eher unangemessen zu sein. Warum wir sie haben, können wir uns dann selbst nicht erklären. Ein Grund dafür könnte sein, dass sie auf den ganz frühen Erfahrungen aus unseren ersten Lebensmonaten und –jahren basieren. Unsere Gefühle sind älter als unsere bewussten Erinnerungen.
Und sie sind schneller. Gefühle sind bereits da, bevor wir überhaupt denken können. Berühmt wurden die Versuche des US-Physiologen Benjamin Libet, die zeigen, dass das motorische Zentrum des Gehirns mit der Vorbereitung einer Bewegung bereits begonnen hat, bevor man sich dessen bewusst wird. Libet schloss daraus, dass dem bewussten Verstand nur ein kurzes Zeitfenster bleibt, indem es die bereits unbewusst eingeleitete Handlung stoppen könnte. Dem Verstand könnte bei vielen Handlungen lediglich eine Art Veto-Funktion übrig bleiben.
Nichts verpassen!
Mit unserem Newsletter „Prinzip Apfelbaum“ verpassen Sie keine Ausgabe. Wir senden Ihnen regelmäßig Anregungen, Rat und Service – kostenlos per E-Mail in Ihr Postfach.
Was sagt der Bauch?
Statt unsere Gefühle zu leugnen, sollten wir uns ihnen also stellen. Ein erster Schritt ist, sie überhaupt zu erkennen. Denn oft wissen wir nicht einmal, dass wir ein bestimmtes Gefühl erleben. Wir unterdrücken es, bewusst oder unbewusst. Das betrifft vor allem Gefühle, die als besonders verpönt gelten, wie etwa Neid, Eifersucht oder Zorn. Sogar positive Gefühle wie Freude oder gute Laune haben viele Menschen gelernt abzuwehren.
Doch diese Gefühle gehören zum Leben dazu, wir sollten sie zuzulassen. Denn das ist ziemlich gut untersucht: Wenn man sie unterdrückt, kommen sie an anderer Stelle wieder hoch. Schon allein dadurch, dass man sich sagt, „gut, dann bin ich jetzt eben mal wütend oder eifersüchtig“, lässt sich ein negatives Gefühl besser ertragen.
Kissen prügeln hilft nicht
Aber wie geht man damit um, wenn einen sehr starke Emotionen überkommen? Einfach alles rauslassen, wie es Therapeuten vor allem in den 70ziger Jahren empfahlen? Lieber nicht, meint das Psychiater-Duo François Lelord und Christoph André. Wer vor Wut ein Kissen prügelt oder ordentlich flucht, der verstärke nur seine Wut. Auch Traurigkeit ließe sich nicht einfach wegweinen. Weinen verstärke den Kummer. Helfen könne es lediglich, wenn man dabei ein tröstendes Gegenüber habe.
Tipps
Zu einem guten Umgang mit Emotionen gehört laut François Lelord und Christoph André unter anderem:
- die eigenen Emotionen erkennen und voneinander unterschieden
- sich von seinen Emotionen weder lähmen noch fortreißen lassen, sondern im richtigen Maße aktiv werden.
- Emotionen so ausdrücken, dass es die Kommunikation mit den anderen verbessert, statt sie zu stören
- die Emotionen der anderen erkennen und angemessen auf sie reagieren
Wahrnehmung trainieren
Die Wahrnehmung der eigenen Emotionen lässt sich durchaus üben. Etwa, indem man auf die Signale des Körpers achtet. Herzschlag, Muskelspannung, Schmerzen – wie eine Warnanlage informiert uns unser Körper über unsere Gefühle. Ein anderer Tipp von Lelord und André: Führen Sie Tagebuch! Denn Menschen, die schmerzliche Ereignisse und ihre Gefühle niederschreiben – oder drüber sprechen – , können das Erlebte besser verstehen und meistern.
Nicht nur die eigenen Gefühle, sondern auch die der anderen können wir lernen, besser wahrzunehmen. Wer Empathie trainieren möchte, sollte etwa bewusst das Gesicht des Gegenübers beobachten, wo sich vielleicht nur für einen kurzen Moment dessen wahre Gefühle zeigen. Viel zu oft sind wir mit uns selbst und unseren Argumenten beschäftigt, statt auf die Reaktionen des anderen zu achten. Eine andere Möglichkeit, dem Gegenüber näher zu kommen: dessen Standpunkt oder Gefühle mit eigenen Worten zu formulieren.
Es lohnt sich, die „Macht der Gefühle“ anzuerkennen und ihnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Wer Emotionen besser erkennt, kann schließlich auch gelassener mit ihnen umgehen, bei sich selbst und anderen Menschen.
Zum Weiterlesen
François Lelord und Christoph André: Die Macht der Emotionen. Ausführlich geht das französische Psychiater-Duo auf acht verschiedene Gefühle ein und hilft dabei, sie zu erkennen, zu verstehen und mit ihnen umzugehen. Erschienen im Piper Verlag.
Antonio R. Damasio: Descartes‘ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. Vor fast 20 Jahren veröffentlichte der berühmte Neurologe zum erstenmal seine bahnbrechende Theorie, wie Verstand und Emotionen zusammenhängen – bis heute lesenswert. Erschienen im Deutscher Taschenbuch Verlag.
TEXT: Wibke Bergemann
FOTOS: Asya Molochkova / Stocksy, Andrea Piacquadio / Pexels