No. 23 – WERTVOLL

Menschen

Hanne Schweitzer: Mehr Wertschätzung für das Alter

Ältere Menschen haben schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Sie erleben am eigenen Leib den Notstand in der Pflege. Und statt mit Erfahrung und Kompetenz wird ihr Alter eher mit Gebrechlichkeit und Last in Verbindung gebracht. Das muss sich ändern, findet Hanne Schweitzer, die Vorsitzende des Büros gegen Altersdiskriminierung.

Lesedauer ca. 5 Minuten

Gemeinsam durch schwieriges Gelände: mit dem Rollstuhl über die Wiese.

Ihr Interesse für das Älterwerden begann in den 1990er Jahren. Die freie Journalistin Hanne Schweitzer drehte damals mit einem Kollegen einen Film für den WDR über die erste Generation türkischer Gastarbeiter, die in Rente gingen. „Wir besichtigten auch Altenheime. Da saßen die Männer, die noch sitzen konnten, in weißen Unterhemden wie die Hühner auf der Leiter in einem engen Flur dicht an dicht auf Stühlen und schauten gegen die Wand. Es war unwürdig.“

Schnell stellte Schweitzer fest, dass es auch in anderen Altersheimen nicht viel besser aussah. Die Bauvorschriften verlangten damals eine Toilette und ein Waschbecken für jeweils acht Menschen und eine Badewanne oder Dusche für jeweils 20. Und niemand schien genau hinzuschauen, was in den Heimen wirklich passierte. Als Schweitzer 1995 den Auftrag bekam, einen umfangreichen Seniorenführer für Köln zu schreiben, wollte sie systematisch die Altenheime der Stadt abfragen: was ein Heimplatz kostete, wie viele Einzel- oder Mehrbettzimmer das Haus hatte und wie die weiteren Gegebenheiten waren. „Aber wenn ich in den Heimen anrief, wurde teilweise einfach der Hörer aufgelegt“.

Ältere Menschen hören schlechter, möchten aber dennoch verstehen.

Die Ausgrenzung von Alten ließ Hanne Schweitzer nicht mehr los. 1999 gründete sie schließlich zusammen mit einigen Mitstreitern in Köln das Büro gegen Altersdiskriminierung, dessen Vorsitzende sie bis heute ist. Als solche gibt sie Workshops, hält Vorträge und betreut die Webseite des Büros. Diese diente zunächst als eine Art digitale Klagemauer, auf der über einzelne Fälle von Altersdiskriminierung berichtet wurde. Mittlerweile geht es aber auch darum, wie alte Menschen ihr Umfeld und ihre Realität wahrnehmen. Viele Beiträge auf der Seite stammen von Freunden und ehrenamtlichen Unterstützern.

Ein wichtiger Erfolg: das Antidiskriminierungsgesetz

Ein zentrales Thema bei der Arbeit des Büros sind Diskriminierungen in der Berufswelt. Das kennt Schweitzer aus dem eigenen Umfeld. Irgendwann stellten viele ihrer frei arbeitenden Kolleginnen und Kollegen fest, dass es fast unmöglich war, mit über 40 oder gar 50 Jahren noch eine Festanstellung zu bekommen. Ein wichtiger Erfolg war daher 2006 die Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, oft auch einfach Antidiskriminierungsgesetz genannt. Es verbietet unter anderem Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung und des Alters.

»In Laienchören, ist man früher rausgeflogen, wenn man 50 oder älter war.«

Ausführlich geregelt ist dort vor allem der arbeitsrechtliche Aspekt, der „Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung“. Stellenausschreibungen müssen seitdem so gefasst sein, dass sich jede und jeder mit entsprechender Qualifikation angesprochen fühlen kann. Wenn eine Firma also zum Beispiel „Verstärkung für unser junges Verkaufsteam“ sucht, liegt eine Altersdiskriminierung vor. Genauso ist es verboten, junge Frauen wegen ihres Alters abzulehnen. Bewerberinnen dürfen lügen, wenn sie im Vorstellungsgespräch nach ihrem Kinderwunsch oder einer Schwangerschaft gefragt werden.

Altersgrenzen verlieren an Bedeutung

„Im Arbeitsbereich hat sich einiges verbessert“, bestätigt Hanne Schweitzer. „Die Altersgrenzen im Berufsleben haben sich um rund 20 Jahre nach oben verschoben und dass Betroffene klagen können, ist ein Riesenfortschritt.“ Auch im ehrenamtlichen Bereich beobachtet Schweitzer, dass die Altersgrenzen an Bedeutung verlieren. „In Laienchören, wo man früher oft rausgeflogen ist oder nicht mehr aufgenommen wurde, wenn man 50 oder älter war, können jetzt auch Ältere mitsingen.“

Das Alter als Kostenfaktor

Die mangelnde Wertschätzung von älteren Menschen spiegelt sich nicht nur in der Arbeitswelt. Auch in den Medien kommen sie oft nicht gut weg. Da ist beispielsweise von einer „demografischen Zeitbombe“ die Rede, von mangelnder Flexibilität und finanzieller Belastung. Alte gelten als Kostenfaktor. Hanne Schweitzer zählt zahlreiche strukturelle Altendiskriminierungen auf. Etwa, dass Banken alten Menschen oftmals Kredite verweigern. Dass KFZ-Versicherungen für 75-Jährige durchschnittlich fast 50 Prozent mehr kosten als für 55-Jährige – trotz der Tatsache, dass Senioren laut dem Statistischen Bundesamt im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil seltener in Verkehrsunfälle verwickelt sind.

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Eine Katastrophe sei noch immer der öffentliche Raum, nicht nur für Alte, sondern auch für Menschen mit Behinderungen oder Eltern mit Kinderwagen. Viel zu oft sind Fahrstühle und Aufzüge kaputt oder nicht vorhanden. Im Straßenverkehr sind die Ampeln zu kurz geschaltet, in den Parks fehlen die Bänke. „Ein neues Problem ist die Digitalisierung. Der Kauf von Fahrkarten, Reisen, Eintrittskarten, das Vereinbaren von Impfterminen, das Erledigen von Bankangelegenheiten setzt immer häufiger digitale Kenntnisse voraus. Für viele alte Menschen ist das sehr problematisch. Sie wollen mit Menschen zu tun haben, nicht mit Maschinen.“

Und natürlich das Dauerthema Pflege, für Schweitzer ein Paradebeispiel für die Ungleichbehandlung von alten Frauen. „Der Mangel an Pflegekräften ist ja seit 20 Jahren bekannt. Ich bin überzeugt: wenn die meisten zu Pflegenden Männer wären, hätte sich das schon längst geändert“, ärgert sie sich.

»In den USA haben die Alten ein ganz anderes Selbstverständnis, sie gehen sozusagen aufrecht.«

Hanne Schweitzer erzählt, dass ihr schon in den siebziger Jahren aufgefallen war, dass Alte in Deutschland ein geringes Selbstbewusstsein haben. „Ich komme aus einer deutsch-amerikanischen Familie und war oft in den USA, vor allem in Kalifornien. Dort hatten die Alten ein ganz anderes Selbstverständnis, sie gingen sozusagen aufrecht.“ Denn in den USA und anderen angelsächsischen Ländern wurden schon nach dem 2. Weltkrieg Interessenvertretungen von und für Seniorinnen und Senioren gegründet. Seit 1967 gibt es in den USA den Age Discrimination in Employment Act. Er verbietet Altersdiskriminierung im Arbeitsleben ab dem 40. Lebensjahr. Die Zwangsverrentung wurde in den USA zu Beginn der 1980ziger Jahre abgeschafft.

Ältere Menschen möchten auch mal eine Pause machen.

Ein Erlebnis in den USA ist Schweitzer besonders in Erinnerung geblieben. Sie traf auf ein Paar, das mit einer Harley Davidson unterwegs war. Als die beiden ihre Helme abnahmen, war sie ziemlich überrascht. Weiße Haare flatterten ihr entgegen. „Ich war die Einzige, die sich darüber wunderte. Damals war ich ja noch jung, aber mein Erstaunen habe ich nicht vergessen“.

Auch Schweitzers Mutter hat die unterschiedlichen Altersbilder auf beiden Seiten des Atlantiks erlebt. Aus den USA war sie es gewohnt, in einem Fitnessstudio zu trainieren. Als sie sich nach dem Umzug nach Köln in einem neuen Studio anmelden wollte, „guckten die meine Mutter von oben bis unten an und sagten: In ihrem Alter können sie doch nicht ins Fitnessstudio gehen.“

Was alte Frauen nicht dürfen

Denn wehe, wenn jemand nicht dem gängigen Altersbild der Mehrheit entspricht. „Was eine Frau über 50 nicht sein darf: sexy. Das wird abgestraft. Das gehört sich nicht“, stellte etwa das ehemalige Topmodel Paulina Porizkova fest, als sie Bikini-Fotos von sich auf Instagram postete und hasserfüllte Reaktionen erhielt. Manchmal tritt die Abwertung auch subtiler auf und wird kaum bemerkt. „Du siehst ja viel jünger aus,“ heißt eigentlich übersetzt: Wie gut, dass du wie fünfzig aussiehst, obwohl du eigentlich schon sechzig bist.

»Es muss sich auf beiden Seiten etwas ändern – in der Gesellschaft und bei den Alten.«

Hanne Schweitzer verschweigt konsequent ihr Alter: Es sollte darum gehen, was jemand tut, und nicht darum, in welchem Alter sie oder er es tut. Immerhin verrät sie, dass sie inzwischen Großmutter geworden ist. Hin und wieder überkomme sie das Gefühl, dass es mit der Arbeit im Büro für Altersdiskriminierung langsam auch mal genug sei. „Aber dann erreicht mich aus irgendeiner Ecke wieder ein Anstoß.“ Wie neulich, als sich ein 67-Jähriger Mann bei ihr meldete, dessen Verein ihn wegen seines Alters vom Basketballtraining ausschloss. „So etwas ist wie ein Trigger für mich. Ich muss dem Mann versichern, dass seine Empörung berechtigt ist und ich ihn beratend unterstützen kann.“

Ein positiveres Bild vom Alter

Wertschätzung für Alter und alte Menschen, ist Schweitzer überzeugt, kann man nicht erzwingen. Das Bewusstsein, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, muss in den Herzen verankert sein. Ein positiveres Altersbild könne vielleicht helfen, lasse sich aber nicht verordnen. „Es muss sich auf beiden Seiten etwas ändern – in der Gesellschaft und bei den Alten. Die Jüngeren sollten begreifen, dass zum Beispiel die geplante Senkung des Rentenniveaus ab 2036 ihre eigenen Renten betreffen wird“, meint Hanne Schweitzer. Sie plädiert zugleich an ältere Menschen: „Die Alten sollten ihre Rechte kennen und auch einfordern. Sonst denken die Politiker, sie könnten machen, was sie wollen.“

TEXT: Angelika Friedl
FOTOS: Dominik Lang / Unsplash, Dima Berkut / iStock, ***DJ*** / Photocase, Huy Phan / Unsplash