Editorial
„Es ist unmöglich zu überprüfen, welche Entscheidung die richtige ist, weil es keine Vergleiche gibt. Man erlebt alles unmittelbar, zum ersten Mal und ohne Vorbereitung. Wie ein Schauspieler, der auf die Bühne kommt, ohne vorher je geprobt zu haben“, schreibt Milan Kundera gleich zu Beginn seines Romans „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Sein Romanheld Tomas zieht aus dieser Erkenntnis ungewöhnliche Konsequenzen. „Einmal ist keinmal“ meint Tomas und lebt viele Jahre ein ausschweifendes Leben in Freiheit und Leichtigkeit.
Doch Tomas ist eine fiktive Figur. Im wahren Leben liegt die Unwiderrufbarkeit unserer Handlungen und Entscheidungen mitunter wie eine schwere Last auf uns. Wäre es nicht besser gewesen, wenn wir einen anderen Weg gewählt hätten? Hätten wir nicht lieber anders entscheiden sollen? Fragen, auf die es keine wirkliche Antwort gibt.
In dieser Ausgabe wollen wir dazu anregen, nicht zu grübeln, sondern Frieden mit dem eigenen Lebensweg zu schließen. Wir fragen, ob es überhaupt falsche Entscheidungen gibt, und erklären, warum man im Leben auch dem Zufall eine Chance geben sollte. Zudem blicken wir nach vorne, auf den Weg, der vor uns liegt. Sollten wir uns nicht einfach eine Scheibe bei Tomas abschneiden und die Zukunft mit einer ordentlichen Zusatzportion Leichtigkeit angehen?
Susanne Anger
Sprecherin der Initiative "Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum"
Was wäre gewesen, wenn...?
Wir müssen ständig Entscheidungen treffen. Gerade bei großen Lebensfragen sind die Zweifel groß: Habe ich den richtigen Weg eingeschlagen? Je weniger wir die Antwort kennen, desto größer ist die Reue. Wie man seinen Frieden mit dem eigenen Lebensweg schließt.
Weiterlesen...Das kann doch kein Zufall sein!
Unerwartete Ereignisse begleiten uns das ganze Leben lang. Eine bestimmte Begegnung, ein entscheidener Anruf, die richtige Information im richtigen Moment: Manche Zufälle sind schier unglaublich. Wenn wir die Gunst der Stunde erkennen, können wir das Unvorhersehbare nutzen.
Weiterlesen...Unsere Lieblinge
Lesetipp
Ihr Vater floh 1945 aus Schlesien Richtung Westen. 75 Jahre später geht Christiane Hoffmann diesen Weg noch einmal, zu Fuß und allein. Sie hofft, ihrem verstorbenen Vater näher zu kommen, dessen Leben von der Flucht geprägt war, auch wenn er kaum darüber sprach. Unterwegs kämpft sie mit Kälte und Erschöpfung. Sie begegnet älteren Polen, die 1945 in die verlassenen Dörfer zwangsumgesiedelt wurden, und Jüngeren, die endlich angekommen sind.
Die individuellen Erfahrungen ihrer Familie mit Krieg, Heimatverlust und Schuld verwebt Hoffmann auf kluge Weise mit den großen, historischen Umbrüchen. Sie erzählt von den Narben, die geblieben sind und den gefährlichen Versuchen in Osteuropa, die Geschichte umzudeuten. So handelt ihr berührendes Buch auch davon, wie die Vergangenheit in die Gegenwart hineinwirkt – bis zum Krieg in der Ukraine.
Christiane Hoffmann: „Alles, was wir nicht erinnern. Zu Fuß auf dem Fluchtweg meines Vaters“. C.H.Beck, 2022. 279 Seiten. 22 Euro
Das Zitat
Der Weg des Geistes ist der Umweg.
GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL
1770–1831, Philosoph
IDEEN, DIE BLEIBEN
Naturschutzbund Deutschland
Dass eine Frau 1899 in Stuttgart den Bund für Vogelschutz nicht nur gründet, sondern sogar selbst dessen Vorsitz übernimmt, sorgt bei vielen Zeitgenossen für Kopfschütteln. Auch Lina Hähnles Mann, der Unternehmer Hans Hähnle, ist zunächst nicht begeistert, unterstützt sie aber. Und so wird für die kommenden Jahrzehnte das Wohnhaus der Familie mit sechs Söhnen auch zur Geschäftsstelle des Vogelschutzbundes.
Mit viel Durchsetzungsvermögen gelingt es Lina Hähnle, dass 1908 das Reichs-Vogelschutzgesetz verschärft wird. Außerdem setzt sie sich für den Schutz von Silberreihern und Paradiesvögeln ein, deren Federn zu dieser Zeit die Hutmode zieren. Bis 1938 bleibt sie Verbandsvorsitzende.
Hähnle nutzt für ihre Vorhaben zum einen ihre Kontakte zu Reichstagsabgeordneten. Zum anderen stellt sie den Bund auf eine breite Basis, indem sie den Jahresbeitrag auf erschwingliche 50 Pfennig setzt, was schon früh für hohe Mitgliederzahlen sorgt. Inzwischen – mehr als 120 Jahre später – ist die Zahl der Mitglieder und Förderer auf über 900.000 gestiegen. Der heutige Naturschutzbund Deutschland (NABU) betreut bundesweit über 5000 Schutzgebiete und unterhält rund 80 Naturschutzzentren.
90
Die Zahl
Manchmal ist im Leben etwas schief gelaufen. Ein falsches Wort, ein Fehler, eine falsche Entscheidung mit gravierenden Konsequenzen. Oder ein Schicksalsschlag, der einen unerwartet getroffen hat. Schon kleinere Rückschläge können uns lange Zeit beschäftigen. Dennoch ziehen hochbetagte Menschen laut einer repräsentativen Umfrage der Universität Köln eine positive Lebensbilanz: Mehr als 90 Prozent der über 80-Jährigen sind demnach mit ihrer Vergangenheit im Reinen. Offenbar gelingt es den allermeisten Menschen, im Laufe der Jahre auch die unangenehmen, schmerzhaften Teile ihres Lebensweges zu akzeptieren.
Schon gewusst?
Neue Heirat – neues Testament
Wer im Leben noch einmal heiratet, sollte auch seinen Nachlass überdenken, zumindest wenn es Kinder aus der ersten Ehe gibt. Denn dem neuen Ehegatten bzw. der neuen Ehegattin steht ebenfalls ein Erbrecht zu. Möchte man sicherstellen, dass die Kinder aus erster Ehe das volle Erbe erhalten, kann man im Testament eine sogenannte Vor- und Nacherbschaft festlegen. Dann wird der überlebende „neue“ Ehegatte Vorerbe. Die Kinder erben als Nacherben erst nach dessen Tod. Sie sind dabei Erben des Erblassers bzw. der Erblasserin und nicht des Vorerben. Dieser kann als sogenannter nicht befreiter Vorerbe verpflichtet werden, die Erbschaft bis zum Nacherbfall ordnungsgemäß zu verwalten.
Dem Ex-Ehegatten steht infolge der Scheidung dagegen kein gesetzliches Erbrecht zu. Sollten jedoch die gemeinsamen Kinder vor dem Ex-Ehegatten sterben und ihrerseits noch keine Kinder haben, beerbt dieser die Kinder und erbt somit auch das vom anderen Elternteil vererbte Vermögen. Wer dies verhindern möchte, kann einen weiteren Nacherben einsetzen oder bestimmen, dass das übriggebliebene Erbe im Wege eines Vermächtnisses an einen Dritten herausgegeben werden muss.
Michael Beuger, Partner der Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE
Das tut gut