Editorial
Je älter wir werden, desto reicher an Erfahrungen. Sie sind ein Schatz, den wir tief in uns tragen: Die guten wie die schlechten, die schönen wie die schrecklichen Erfahrungen. Alle zusammen bilden sie das feste Wurzelwerk unserer Einstellungen, Bewertungen und Erinnerungen. Sie stützen uns beim Wachsen, halten uns in der Mitte und bewahren uns davor, in stürmischen Zeiten umzufallen. Je älter wir werden, desto fester und dicker werden diese Wurzeln.
Aber wie die Wurzeln großer Bäume sind viele unserer Erfahrungen tief vergraben. Wir müssen in uns hineinhören: Für welche Erfahrungen sind wir dankbar, für welche nicht, was haben wir aus ihnen gelernt? Und was wollen wir eigentlich von unserem Erfahrungsschatz weitergeben, was für immer ruhen lassen?
Nur durch Erinnern, durch Erzählen können wir reflektieren und weitergeben, was wir erlebt haben und was uns bewegt hat. Denn unsere Erfahrungen sind nicht nur für uns selbst wichtig und wertvoll, sondern auch für die Jungen. Das kennen wir aus den gemütlichen Runden, wenn gefragt wird: „Sag doch mal, wie war denn das?“ Wenn Geschichten aus dem Leben erzählt werden. Das interessiert besonders die Enkelkinder. Und manchmal kommen wir ihnen dann sogar ein wenig weise vor. Deshalb geht es in dieser Ausgabe unseres Magazins um den Umgang mit unseren Erfahrungen und wie wertvoll dieses Wurzelwerk für uns alle ist.
Susanne Anger
Sprecherin der Initiative
"Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum"
Zum Titelbild
4000 Jahre, so alt könnte die berühmte Edelkastanie im sizilianischen Sant’Alfio gleich am Fuße des Vulkans Ätna sein. Der Baum stand wahrscheinlich schon hier, als die Römer die Provinz Sicilia eroberten. Seine zerfurchte Rinde und die knöcherigen Wurzeln haben so manchen Vulkanausbruch erlebt. Doch bisher haben die Lavaströme des Ätnas ihn nie erreicht.
Austausch zwischen den Generationen
Ein pensionierter Richter diskutiert an einer Schule über Recht und Gerechtigkeit, ein ehemaliger Techniker hilft Nachbarn bei Reparaturen – die Älteren haben viel Wissen weiterzugeben. Das Beste daran: Der Austausch zwischen den Generationen ist ein Geben und Nehmen.
Weiterlesen...Man könnte es auch Weisheit nennen
Manche Menschen sind nicht nur erfahren, sondern sogar weise. Weisheit hat viel damit zu tun, wie wir mit unseren Lebenserfahrungen umgehen, ob wir verbittern oder stattdessen offen und gelassen bleiben. Was macht weise Menschen aus? Was können wir von ihnen lernen?
Weiterlesen...Unsere Lieblinge
Lesetipp
Zwei Frauen fahren von Mostar nach Wien. Sara hat vor Jahren Bosnien verlassen und lebt seitdem in Irland, weit weg vom Chaos des Balkans. Die Begegnung mit ihrer Kindheitsfreundin, der wilden Lejla, führt sie zurück in die dunkle Vergangenheit: die gemeinsame Schulzeit, als aus Lejla plötzlich Lela wurde und ihr Bruder verschwand, in den Sara verliebt war. Der Krieg wird nie explizit erwähnt und hat doch das Leben der beiden Frauen bestimmt. Ihre Freundschaft ging ebenso in die Brüche wie das Land. Und wie das Land ist diese Lejla faszinierend und zugleich unberechenbar und fordernd, eigentlich unerträglich. Sara kann dem nicht entkommen: „Wir sind immer in Bosnien.“ Virtuos erzählt!
Lana Bastašič: „Fang den Hasen“. Roman. Fischer Verlag, 2021. 336 Seiten. 22 Euro.
Das Zitat
Doch manche Dinge kann man nicht durch Nachdenken ergründen, man muss sie erfahren.
MICHAEL ENDE
1929 – 1995, Schriftsteller (aus „Die unendliche Geschichte“)
Ideen, die bleiben
Amnesty International
1961, während der Militärdiktatur in Portugal stoßen in Lissabon zwei Studenten auf die Freiheit an und landen prompt im Gefängnis. Der Londoner Anwalt Peter Benenson ist empört und veröffentlicht einen Artikel in The Observer: „Schlagen Sie Ihre Zeitung an einem beliebigen Tag auf und Sie werden eine Meldung aus irgendeinem Teil der Welt finden: Ein Mensch ist eingesperrt, gefoltert, hingerichtet worden, weil seine Ansichten oder seine Religion nicht von der Regierung akzeptiert werden.“ Benenson will die Schicksale einzelner Gefangener bekannt machen und so öffentlich Druck erzeugen. Seine Idee: Wenn viele Leute gleichzeitig protestieren, könnte es einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Die Zustimmung ist enorm, der Artikel wird von 30 Zeitungen weltweit nachgedruckt, tausende Menschen beteiligen sich an dem Aufruf.
Es ist die Geburtsstunde von Amnesty International vor 60 Jahren. Aus dieser Aktion entsteht die größte Menschenrechtsbewegung der Welt. Mittlerweile unterstützen mehr als zehn Millionen Menschen den Einsatz für die Menschenrechte.
31%
Die Zahl
Immer mehr ältere Menschen bringen sich mit ihren Lebenserfahrungen in ein Ehrenamt ein: etwa im Sportverein, als Lesepaten für Kinder, bei der Unterstützung für Geflüchtete, im Umweltschutz oder in politischen Initiativen. Laut dem Freiwilligensurvey des Deutschen Zentrums für Altersfragen engagieren sich mittlerweile über 31 Prozent der Menschen ab 65 Jahren freiwillig. Bei einer Umfrage 1999 lag die Engagementquote unter den Älteren noch bei 18 Prozent. Eine wichtige Motivation: die Gesellschaft zumindest im Kleinen mitzugestalten.
Schon gewusst?
Ehepaare ohne Kinder
Sie haben viele Jahre miteinander verbracht und oft alles geteilt: Viele kinderlose Ehepaare denken daher, dass nach dem Tod der andere Partner automatisch alles erbt. Doch die gesetzliche Erbfolge sieht neben dem Ehegatten auch die Eltern oder nächsten Verwandten des Toten als Erben vor. Die Höhe des Anteils richtet sich danach, welche Verwandten noch leben und in welchem Ehestand man gelebt hat. Umso wichtiger ist es, ein Testament zu machen, in dem sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben einsetzen. Dadurch können gemeinsame Güter wie Haus, Wohnung oder Wertgegenstände ausschließlich an den überlebenden Partner übergehen. Je mehr Vermögen vorliegt, desto ratsamer wird es, sich dafür Hilfe von einem Rechtsanwalt zu suchen. Allerdings: Auch durch ein Testament wird der Pflichtteil für Verwandte noch nicht ausgeschlossen. Wer ganz sicher gehen will, lässt deshalb seine Eltern oder nächsten Verwandten einen Pflichtteilsverzichtsvertrag unterschreiben. Dieser muss notariell beurkundet werden.
Michael Beuger, Partner der Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE
Das tut gut