No. 24 – WEGE

Impulse

Was wäre gewesen, wenn...?

Wir müssen ständig Entscheidungen treffen. Gerade bei großen Lebensfragen sind die Zweifel groß: Habe ich den richtigen Weg eingeschlagen? Je weniger wir die Antwort kennen, desto größer ist die Reue. Wie man seinen Frieden mit dem eigenen Lebensweg schließt.

Lesedauer ca. 3 Minuten

Am Scheideweg: Wie soll ich mich entscheiden?

In dem Gedicht „The Road Not Taken” des amerikanischen Dichters Robert Frost steht ein Wanderer an einer Gabelung im Wald und muss sich für einen von zwei möglichen Wegen entscheiden: „Two roads diverged in a yellow wood, And sorry I could not travel both“. Für welche Richtung er sich auch entscheidet, er wird immer etwas Schönes in der anderen verpassen. Schließlich wählt der Wanderer einen Weg und tröstet sich mit dem Gedanken, den anderen später einmal zu gehen – wohl wissend, dass er wahrscheinlich nie mehr an diese Stelle kommen wird.

Immer wieder müssen wir Entscheidungen treffen, die unser Leben nachhaltig beeinflussen. Was soll ich studieren, will ich Kinder, soll ich ins Ausland gehen, eine Beziehung beenden, etwas früher in Rente gehen? Jede Wahl für etwas ist zugleich eine gegen etwas anderes. Und im Nachhinein bereuen wir vor allem das, was wir alles nicht getan haben: keine Zeit gehabt, keine Kinder bekommen, kein Haus gekauft, nicht den Neuanfang im Ausland gewagt. Dabei können wir meist gar nicht wissen, ob es tatsächlich besser gewesen wäre, wenn wir uns dafür entschieden hätten.

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So geht es den meisten Menschen. Denn wir neigen dazu, die nicht gewählte Alternative später zu verklären und zu überschätzen. Die beiden Psychologen Daniel Feiler und Johannes Müller-Trede zeigten 2022 in einer Studie, dass das Bedauern vor allem dann groß ist, wenn wir nicht wissen, welche Folgen die unterlassene Alternative tatsächlich gehabt hätte. „Vor allem bei komplexen Entscheidungen (wie bei vielen wirklich wichtigen) müssen wir oft mit unvollkommenen Informationen arbeiten“, schreibt Müller-Trede in einem Beitrag für die IESE Business School an der University of Navarra.

Auf der anderen Seite der Stange ist es immer noch etwas schöner.

Meist wüssten wir einfach zu wenig, um einen fairen Vergleich zwischen der von uns gewählten Option und der unterlassenen Alternative anzustellen. Das Ungleichgewicht zwischen unserem Wissen über die von uns gewählte Option und dem Nichtwissen über die Alternativen sei schließlich der Grund dafür, dass wir die Entscheidung bereuen. „Das Bedauern, das wir empfinden, hat also weniger mit den vermeintlich überlegenen Qualitäten des ‚Entgangenen‘ zu tun.“ Vielmehr überschätzen wir die positiven Konsequenzen der nicht gewählten Möglichkeit.

»Wir überschätzen die positiven Konsequenzen der nicht gewählten Möglichkeit.«

Verstand und Bauchgefühl

Für die Schweizer Psychologin und Psychoanalytikerin Maja Storch geht es bei den großen Lebensfragen gar nicht um richtig oder falsch, sondern viel mehr um kluge Entscheidungsprozesse. Lange sei man davon ausgegangen, dass gute Entscheidungen auf Verstand, Vernunft oder Denken basieren. „Emotionen oder Körperempfindungen wie zum Beispiel das, was wir Bauchgefühl nennen, wurden als eher störend betrachtet. Das Geheimnis kluger Entscheidungsprozesse liegt jedoch darin, den Verstand und das unbewusste Erfahrungsgedächtnis miteinander abzugleichen.“

Der Kopf bewertet nach sachlichen, moralischen und vernünftigen Kriterien, das Unbewusstsein danach, ob etwas angenehm oder unangenehm sei, ob man auf etwas Lust habe oder nicht – je nach dem, welche Erfahrungen man im Laufe seines Lebens in einer ähnlichen Situation gemacht hat und welche Gefühle damit verbunden sind. „Unser Erfahrungsgedächtnis ist ein Wissensspeicher von unschätzbarer Qualität“, so Storch.

Entweder oder? Beides geht leider nicht.

Deshalb sei es wichtig, Körpergefühle wahrzunehmen und sie mit Verstandesüberlegungen abzugleichen. „Empfiehlt der Kopf etwas anderes als das Gefühl, sind wir innerlich zerrissen und unglücklich.“ Und wie gelingt es, beide Systeme in Einklang zu bringen? Beispielsweise indem man nach den Werten fragt, denen man mit einer bestimmten Entscheidung entsprechen wolle. „Oder wir müssen herausfinden, warum wir ein ungutes Gefühl haben.“ Erst wenn beide Systeme zu demselben Schluss kommen, sollte man eine Entscheidung treffen, rät Storch.

Es gibt keine falschen Entscheidungen

Die richtige Entscheidung treffen zu müssen, setzt viele Menschen erheblich unter Druck. Denn „richtig“ sei oft gleichbedeutend mit „perfekt“, schreibt Bettina Stackelberg, Coach und Buchautorin, in ihrem Blog. Doch ungesunder Perfektionismus führe oft dazu, dass wir lieber gar nicht entscheiden. Stackelberg ist überzeugt: „Falsche Entscheidungen gibt es nicht: Du triffst die einzige Entscheidung, die du in der jeweiligen Situation nach bestem Gewissen, bei genauem Abwägen und Nachdenken unter Einbeziehung aller Faktoren treffen kannst. Und das ist dann zu diesem Zeitpunkt eben einfach die richtige Entscheidung.“

»Das ist dann zu diesem Zeitpunkt eben die richtige Entscheidung.«

Fatal sei eher, aus Angst vor einer möglicherweise falschen Wahl gar nicht zu entscheiden. „Wir wollen auch deshalb die richtige Entscheidung treffen, weil wir meinen, dafür dann keinen Preis zahlen zu müssen. Wenn ich richtig entscheide, komm ich heile aus der Nummer raus. Das ist Quatsch! Wir zahlen jedes Mal einen Preis, für welche Entscheidung auch immer!“

Welche Konsequenzen hat eine Entscheidung?

Das Beste draus machen

Am Ende bleibt nur, seinen Frieden mit den getroffenen Entscheidungen zu machen. Der Journalist Till Eckert schrieb auf „Zeit Online“ über „die größte Fehlentscheidung“ seines Lebens: Als er sie korrigiert hatte, wurde ihm bewusst, dass es eigentlich gar keine war. Eckert hatte mit 20 Jahren einen Vertrag bei der Bundeswehr über neun Jahre unterschrieben, bereute aber bald diese Entscheidung. Er entwickelte eine heftige Abneigung gegen das Militär, dennoch dauerte es mindestens ein Jahr, bis er sich eingestand, etwas ändern zu müssen. Gespräche mit Freunden und Familie halfen ihm dabei, Abstand zu gewinnen. Was zunächst wie eine „unverrückbare Fehlentscheidung“ ohne Ausweg schien, war plötzlich lösbar. Diese Entscheidung habe ihn viel gelehrt, meint Eckert im Rückblick: „Ich weiß, was ich im Leben nicht mehr will – im Grunde kann man seiner ‚Fehlentscheidung‘ dafür sehr dankbar sein.“

TEXT: Kristina Simons
FOTO: Maryna Patzen / iStock, Tolga Ulkan / Unsplash, elmue / Photocase, 4FR / iStock