Aus Dankbarkeit etwas zurückgeben
Die Forschung hat Dankbarkeit als einen wichtigen Faktor für unser Wohlbefinden entdeckt. Dankbare Menschen scheinen zufriedener und sogar gesünder zu sein. Denn Dankbarkeit lenkt den Blick auf die guten Dinge im Leben und verbindet uns mit anderen. Wer dankbar ist, möchte häufig auch etwas zurückgeben.
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Renate Harms* ist dankbar. „Wir leben in Europa ziemlich privilegiert. Wir haben genug zu essen, die meisten Menschen haben ein Dach über dem Kopf und es gibt eine ausreichende medizinische Versorgung.“ Der Lebensstandard, der hierzulande so selbstverständlich ist, ist in anderen Teilen der Welt alles andere als normal. Das ist der 73-Jährigen sehr bewusst. Seit vielen Jahren engagiert sie sich deshalb für soziale Projekte und spendet für Menschen, die sich in Not befinden. „Ich hatte so ein gutes Leben. Das möchte ich auch Menschen in Afrika ermöglichen.“
Inzwischen hat Renate Harms entschieden, sogar über ihren Tod hinaus dafür zu sorgen, dass es anderen besser geht. In ihrem Testament hat sie ChildFund mit einer Spende bedacht, eine Hilfsorganisation, die sich für Kinder und deren Familien auf der ganzen Welt einsetzt. „Sie engagieren sich in dem Bereich, der mich interessiert: Bildungsprojekte sowie Förderung von Frauen“, sagt Renate Harms und ist froh, dass sie etwas zurückgeben kann.
Mehr als „Danke“ sagen
Wir sagen „Dankeschön“, wenn uns jemand die Tür aufhält. Wir sind jemandem dankbar, weil er oder sie etwas für uns getan hat. Doch Dankbarkeit ist mehr als dieses freundliche Anerkennen von Gefälligkeiten im Alltag. Es ist eine bestimmte Haltung dem Leben gegenüber, die sich darin äußert, dass man etwa Ehrfurcht gegenüber der Natur empfindet, dass man sich seiner guten Freunde und seiner liebevollen Familie bewusst ist oder dass man sich selbst dann, wenn es nicht so gut läuft, an kleinen Dingen erfreuen kann.
Aufmerksamkeit auf das Gute und Schöne
Diese Wertschätzung für das Schöne und Gute, das geschieht, scheint eine wichtige Rolle dabei zu spielen, wie glücklich und sogar wie gesund Menschen sind. Vor rund 20 Jahren begannen die US-Psychologen Robert Emmons und Michael McCullough als erste, das Thema näher unter die Lupe zu nehmen. In einer Studie ließen sie Studierende in einem Tagebuch über zehn Wochen notieren, für welche Dinge sie Dankbarkeit empfanden. Die Teilnehmenden zeigten sich beispielsweise dankbar dafür, dass sie noch lebten, aber auch für ihre Freunde, Gott oder die Rolling Stones.
Mehr Freude im Leben
Eine Kontrollgruppe sollte dagegen im gleichen Zeitraum notieren, was alles misslungen war. Eine dritte Gruppe wurde einfach aufgefordert, wichtige Ereignisse in ihr Tagebuch einzutragen. Am Ende der Studie zeigte sich deutlich, dass sich die Menschen, die ein Dankbarkeitstagebuch geführt hatten, optimistischer und vitaler fühlten als die Probandinnen und Probanden in den Vergleichsgruppen. Den gleichen Versuch wiederholten Emmons und McCullough später mit chronisch kranken Menschen, die sich also in einer deutlich schwierigeren Lebenssituation befanden als die Studierenden – das Ergebnis blieb das gleiche.
»Auch die körperliche Gesundheit profitiert, wenn Menschen Dankbarkeit in ihr Leben integrieren.«
Mittlerweise liegen zahlreiche weitere psychologische Studien zur Dankbarkeit vor. Sie zeigen zum Beispiel, dass dankbare Menschen weniger unter Stress leiden, besser schlafen und optimistischer und glücklicher sind als andere, die alles für selbstverständlich nehmen. Auch die körperliche Gesundheit scheint zu profitieren, wenn Menschen Dankbarkeit in ihr Leben integrieren. Der Psychoneuroimmunologe Paul J. Mills untersuchte 186 Frauen und Männer, die an einer Herzschwäche litten.
Bei den Teilnehmenden, die ein Dankbarkeitstraining gemacht hatten, sanken unter anderem die Entzündungswerte. Außerdem verbesserte sich die sogenannte Herzratenvariabilität, die anzeigt, wie der Körper mit Belastungen zurechtkommt. Um mehr Daten zu haben, verglich die Psychologin Leah Dickens in einer großen Metaanalyse die Ergebnisse von 38 Studien mit insgesamt mehr als 5000 Menschen, die an einem Dankbarkeitstraining teilgenommen hatten. Insgesamt zeigten die Teilnehmenden bei kleinen bis mittleren Effekten ein erhöhtes Wohlbefinden, das zum Teil mehrere Monate anhielt.
Dankbare Menschen sind offenbar glücklicher und vitaler.
Dankbarkeit in schweren Zeiten
„Dankbarkeit ist das A und O im Leben“, sagt Paul Behrend aus Koblenz. „Ohne sie könnten wir einpacken.“ Der 54-jährige Kaufmann weiß, wovon er spricht, er hat einige schwierige Jahre hinter sich. Ihm wurde der Arbeitsvertrag vorzeitig gekündigt. Es folgten lange rechtliche und finanzielle Auseinandersetzungen mit dem ehemaligen Arbeitgeber, die geprägt waren von der Angst, nicht genug Geld für den Lebensabend übrig zu haben. Inzwischen hat er diese Zeit überstanden, es geht ihm wieder gut, wofür er sehr dankbar ist.
Bei seiner Mutter erlebte Paul Behrend zudem, wie man das eigene Ende gut vorbereiten kann. Sie hatte, bevor sie starb, alles genau aufgeschrieben: wie sie bestattet werden wollte und was mit den Dingen geschehen sollte, die sie hinterließ. So ersparte sie ihrem trauernden Sohn einige schwierige Entscheidungen, auch dafür ist er dankbar. Er will es ebenso machen und hat bereits sein Testament verfasst, in dem er unter anderem Amnesty International eine Spende zugesprochen hat.
»Dankbarkeit ist das A und O im Leben. Ohne sie könnten wir einpacken.«
„Ich gebe etwas zurück. Für mich ist das der bestmögliche Zweck, den ich mir vorstellen kann.“ Wichtig ist ihm vor allem, wie sich Amnesty für politische Gefangene einsetzt. „Wenn engagierte Menschen freigelassen werden, können sie sehr viel bewirken und mithelfen, in ihren Ländern demokratische Strukturen aufzubauen. Denken Sie nur an Nelson Mandela!“
Dankbarkeit als Motivation
Mehr Kurzporträts von Menschen, die sich entschieden haben, etwas zurückzugeben, und weiterführende Informationen finden sich auf der Webseite der Initiative „Mein Erbe tut Gutes“.
Die dunkle Seite
„Dankbarkeit ist Wein für die Seele, komm, betrinke dich“, schrieb der persische Dichter Rumi im 13. Jahrhundert. In der Regel wurde und wird Dankbarkeit sowohl in der Philosophie als auch in den religiösen Traditionen als eine wertvolle Tugend hochgeschätzt. Doch es gibt auch eine Schattenseite: die mit manchen Geschenken oder Gefälligkeiten einhergehende Verpflichtung zur Dankbarkeit, wenn nicht sogar zu einer Gegenleistung. Dann ist Dankbarkeit mit dem unangenehmen Gefühl verbunden, dem anderen etwas schuldig zu sein, und wird zur Belastung.
Der griechische Philosoph Aristoteles schrieb der Dankbarkeit daher auch nur die Rolle eines „Dienstmädchens“ zu, im Vergleich zu der von ihm höher geschätzten Tugend des Gebens. Dankbarkeit kann sogar mit Scham belastet sein: Wenn man beispielsweise immer wieder zu teuren Vergnügen eingeladen wird, die man sich selbst nicht leisten könnte und sich dabei gedemütigt fühlt. In solchen Fällen sollte auch die Dankbarkeit ihre Grenzen haben.
"Dankbarkeit ist Wein für die Seele"
Dankbarkeit wirkt wie ein Verstärker
Grundsätzlich macht Dankbarkeit aber zufriedener. Der Psychologe Philip Watkins vergleicht Dankbarkeit sogar mit einem Musikverstärker, der die Stimme eines Sängers laut und deutlich im Saal erklingen lässt, wenn man den Regler aufschiebt. Ebenso lässt uns Dankbarkeit das Gute im Leben intensiver wahrnehmen. Der britische Psychologe Alex Wood betont, dass wir durch Dankbarkeit nicht nur die positiven Dinge besser wahrnehmen und wertschätzen können. Wir nehmen auch die negativen Dinge nicht mehr so wichtig.
„Das habe ich auch so erfahren“, sagt die Berliner Lehrerin Birgit Schuhmann. „Ich bin für so viele Dinge in meinem Leben dankbar, ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Manches ist mir einfach so zugeflogen, ohne dass ich etwas machen musste“. Daher spendet sie jedes Jahr immer einen bestimmten Anteil ihres Gehalts an Organisationen wie den Naturschutzbund Deutschland und an die Christoffel Blindenmission. „Es macht mich froh und ich fühle mich innerlich reich, wenn ich anderen Menschen oder der Umwelt etwas geben kann. Auch weil ich weiß, dass daraus wieder etwas Schönes entstehen kann“.
TEXT: Angelika Friedl
FOTO: davidpereiras / photocase, nurmalso / photocase, andriymedvediuk / photocase, Westend61 / photocase
*Die drei dankbaren Menschen in dem Artikel möchten anonym bleiben. Ihre Namen wurden daher geändert.
Zum Weiterlesen
Robert A. Emmons: Das kleine Buch der Dankbarkeit. Der Psychologe Robert Emmons gehört zu den ersten, die Dankbarkeit wissenschaftlich erforscht haben. Anschaulich beschreibt er, wie Dankbarkeit die Einstellung zum Leben und auch Beziehungen verändern kann. Erschienen im Heyne Verlag, 2018.